„Wir brauchen ein neues globales Abkommen“

Der Währungsexperte Heiner Flassbeck will durch ein geregeltes Wechselkurssystem die Macht der Spekulanten eindämmen

taz: IWF und Weltbank werden 60. Herr Flassbeck, was würden Sie den beiden Schwestern in einer Festrede sagen?

Heiner Flassbeck: Dass sie wichtig waren und 20 oder 30 Jahre eine extrem erfolgreiche Wirtschaftspolitik begleitet haben. Danach haben sie sich aber viel zu einseitig einer einzigen wirtschaftspolitischen Richtung verschrieben, die sich vor allem an reiner Bankersicht mit Priorität für Preisstabilität orientiert.

Was fehlt denn?

Die Differenzierung. Der IWF bietet in der Regel ein Einheitsmenü an, das auf jede Situation weltweit angewendet wird. Aber das reicht nicht.

Manche sagen, der IWF ist keine Feuerwehr für Not leidende Volkswirtschaften, sondern legt durch seine Auflagen neue Brände.

Es nützt nichts, einseitig auf den IWF einzuprügeln. Es sind die Industrieländer der G 7, die seine Politik bestimmen. Die werden meist zu spät wach, wenn irgendwo eine große Krise ausbricht. Die Entwicklungsländer sollten mehr Präsenz und Stimmrecht erhalten, um die einseitige Sichtweise zu durchbrechen.

Es ist nicht zu erwarten, dass die Industrieländer etwas von ihrer Macht abgeben.

Die G 7 konnten ihre Position in den vergangenen Jahren doch gar nicht so einsetzen, dass sie sich selbst und den Entwicklungsländern geholfen haben. Dort haben viele den Eindruck, dass die Industriestaaten ihnen die Leiter zu mehr Wohlstand wegschlagen. Ich unterstelle ihnen das nicht. Aber wenn sie das täten, würden die daraus resultierenden politischen Spannungen und der wirtschaftliche Niedergang der aufholenden Länder auch den Industrieländern schaden.

Sie fordern ein klares Regelwerk für die internationalen Finanzströme. Wie kann das aussehen?

Wir haben ein multilaterales Handelssystem bei der WTO. Dem zur Seite stehen muss ein entsprechendes Finanzsystem, das Verzerrungen durch Wechselkurse ausgleicht. Der IWF kannte in den 90er-Jahren nur die absolut feste Bindung an eine bedeutende Währung oder die totale Flexibilität. Das Modell ist nicht aufgegangen. Argentinien musste eine scheinbar für immer fixierte Währung freigeben, und das Land stürzte in eine tiefe Krise.

Sie haben ja vor einigen Jahren die Idee von Wechselkurskorridoren in die Diskussion gebracht. Allerdings mit wenig Erfolg.

Wir sind dem jetzt sehr viel näher gekommen. Immer mehr Entwicklungsländer versuchen sich mit einer Unterbewertung ihrer Währung Raum für eigenständige Wirtschaftspolitik zu schaffen und ihre Exportchancen zu erhöhen. Da die Europäer und Japaner eine ähnliche Politik versuchen, tragen mittlerweile die USA allein die Last, globale Lokomotive zu sein. Das kann nicht gut gehen. Der US-Dollar muss als Leitwährung für viele Entwicklungsländer abgelöst werden. Wir brauchen also ein neues globales Abkommen.

Wie das von Bretton Woods? Das müsste aber sehr komplex sein, damit es funktioniert.

Es ist nicht so, dass es heute um hundert Währungen geht, die frei tauschbar sind. Wir bewegen uns mit großen Schritten auf ein System hin, das de facto nur von wenigen Währungen dominiert wird. Es gibt folglich keine Erfolg versprechende Alternative zu einem weltweit geregelten Wechselkurssystem. Kein Land akzeptiert, dass es jederzeit zum Spielball der internationalen Spekulation werden kann. Das ist die Lehre, die wir aus den großen Finanzkrisen der letzten zehn Jahre ziehen müssen.

INTERVIEW: STEPHAN KOSCH