Das Auge isst mit

Da wird schon mal der Braten kalt: Radio Bremen zeigt Kunst an den Wänden der Kantine

Entspannt lehnt die Frau im karierten Rock auf dem Sofa, hat lässig ihr Knie entblößt – ein Blickfang für die Mitarbeiter von Radio Bremen. In der Kantine des Senders hängen derzeit solch fotorealistische Bilder Jutta Haeckels. Sie wirken wie Fenster in eine Parallelwelt: Während die Kollegen Braten mit Kartoffelpüree essen, schweift ihr Blick zum betörenden Damenknie, über die Wasserfläche eines menschenleeren Swimmingpools oder den spiegelnden Deckel eines Plattenspielers.

Die Idee der „Kunstkantine“ entwickelten Klaus Johannes Thies und Marilina Kolvenbach, freie Mitarbeiter bei Radio Bremen, zusammen mit dem Intendanten Heinz Glässgen während eines Betriebsfests. Da sei ihnen aufgefallen, dass der Speiseraum die ästhetische Schmuddelecke des Senders sei, so Thies. Während im Eingangsbereich Werke renommierter Bremer Künstler hängen, hätte sich in der Kantine „jeder, der einen Bleistift oder Pinsel halten kann, verwirklichen können“. Thies: „Ziemlich grässliche Sachen, die nicht mal ein Friseur bei sich ausstellen würde“.

Thies und Kolvenbach schafften Platz für professionelle junge Künstler. Zwar bietet der Raum mit seinem heimeligen Hängelampen- und Topfpflanzen-Charme nicht den optimalen Rahmen für moderne Kunst. Aber die Künstler erhalten ein Honorar von 50 Euro pro Woche und einen eigenen Werkkatalog. Zudem finden die Bilder dort ein breites Publikum, da die Kantine auch von auswärtigen Gästen besucht wird. Bei Verkäufen verzichten die ehrenamtlichen Organisatoren auf die übliche Provision.

Thies entdeckte die 31-jährige Jutta Haeckel, die an der Hochschule für Künste in Bremen studiert hat, auf der Jahresausstellung des Berufsverbands Bildender Künstler (BBK). Für die kühle Gegenständlichkeit der Gemälde empfand er „Liebe auf den ersten Blick“. „Vielleicht lag es an ihren Knien“, heißt denn auch Thies‘ Katalog-Gedicht über eines der Werke.

Häckels Bilder thematisieren das Abwesende: leere Liegestühle oder ein gesichtsloser Frauenkörper bringen den Betrachter dazu, sich das Fehlende zu denken. Und ein Bildpaar fordert wie ein Suchbild den Betrachter heraus, den Fehler zu finden. „Diese Abstraktion durch Verdopplung der Wirklichkeit ist bemerkenswert“, findet Hörspielmacher Gottfried von Einem.

Zu sehen sind Haeckels Gemälde noch bis zum 24. August in der Kantine, die für alle Besucher offen ist. Im neuen Sendegebäude soll die „Kunstkantine“ eine feste Institution mit zwei bis drei Ausstellungen im Jahr werden. sys