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: Das Wetter ist schuld: Warum Verlass nur noch auf Fernsehserien ist

Es ist nicht einfach zurzeit. Der Sommer bleibt aus, das dazugehörige Sommergefühl natürlich auch, nichts Neues kommt, außer einem Tiefdruckgebiet, einer Kaltfront nach der nächsten.

Die Fußballeuphorie der letzten Wochen hat auch schwer nachgelassen, am Sonntag ist endlich alles vorbei. Es war ja auch anstrengend, das kollektive Gucken; Plätze freihalten, verteidigen, fachsimpeln, gespielte Aufregung, dumme Witze und unverhohlene Angeberei von links und rechts – all das ertragen zu müssen. Das kollektive Fernsehen ist trotzdem ein ganz spezielles Erlebnis, es versetzt einen in einen angenehm trügerischen, utopischen Zustand eines geselligeren Vormedienzeitalters. Die ersten Fußballwochen waren noch interessant, die ewige Fragerei im Zuschauerkollektiv : „Wer ist jetzt bei wem in der Gruppe, Schweiz, Kroatien, Frankreich, England?“ Wer hat wie viel Punkte, wie müssen die Dänen gegen die Schweden spielen, damit beide reinkommen?

Und wenn alles richtig repetiert wurde und man sich einig war, kam garantiert jemand Neues dazu und fragte: „Wie muss jetzt Italien spielen, um weiterzukommen?“, und alle überlegten laut, und alles begann wieder von vorne.

Aber mit diesen kleinen intellektuellen Herausforderungen war es ja dann im Viertelfinale vorbei, sämtliche Spieler, die man ein bisschen kennen gelernt hatte, fahren nach und nach zurück nach Hause. Dann stinkt es nach dem Spiel im Gastraum oft so stark nach Schweiß, als wäre dort tatsächlich Sport getrieben worden, wobei Insider wiederum behaupten, der Schweiß von echten Sportlern würde gar nicht stinken.

Nach den Spielen kommt jetzt oft eine zerstörte, zerfaserte Stimmung auf: umgeworfene Stühle, kalter Rauch, Schweißgeruch. Man will nicht bleiben, will nicht nach Hause, will gar nichts und will doch irgendwas … Nur gut, dass es bald vorbei ist, Tour de France und Olympia machen wir nicht mehr mit. Höchstens die Eröffnungsfeier in Athen.

Aber jenseits der EM passiert auch nicht viel in der Stadt, außer den für Touristen erfundenen blöden Outdoor-Events natürlich. Allgemein ist ja die Ansicht verbreitet, im Sommer sei Berlin so schön. Aber das Gegenteil ist der Fall. Tag für Tag nur graue Wolken, Schauer, sinkende Temperaturen, aber man tut so, als lebe man in den Tropen. Die Folge sind inadäquate Sommerlager, absurde Sommeröffnungszeiten, Strandbars, nachmittägliches Grillen und Chillen statt korrektem Nachtleben, und so weiß keiner mehr, wohin mit sich.

So viel gefroren wurde noch nie um diese Jahreszeit, aber ständig will jemand draußen sitzen, ständig muss man frösteln, um nicht als verweichlicht und verfroren zu gelten, muss so tun, als ob es Spaß mache, mit Übergangsjacken im kalten Wind zu sitzen.

Vielleicht wäre es besser, wenn gleich der Herbst anfinge, dann könnte man die Pullover auspacken und sich auf die depressive Jahreszeit einstellen. Aber so bleibt man viel zu Hause, beobachtet, wie die Balkonblumen vom Wind zerfetzt werden, und freut sich an der Jubiläumswoche bei GZSZ: Während eines Todesfluges mit „Gernair“, der Fluglinie des windigen Rechtsanwalts Dr. Jo Gerner werden viele Spannungen und emotionale Knoten bei den Passagieren gelöst.

Der 18-jährige John bringt die Maschine sicher zu Boden, er ist ab jetzt mit Paula zusammen. Vincent aus Südafrika geht jetzt mit der 20 Jahre älteren Lehrerin Frau Meinhard. Die eben aus Finnland zurückgekehrte Julia (Yvonne Catterfeld) hat beschlossen, um den seit seiner Komazeit extrem verstockten Nico zu kämpfen. Wenigstens auf die Serien ist Verlass.

CHRISTIANE RÖSINGER