Hitzfelds Burn-out

Ottmar Hitzfeld sieht sich nun doch nicht in der Verfassung, Bundestrainer zu werden. Den DFB stürzt das in ein ziemliches Dilemma, ein brauchbarer Ersatzkandidat steht nämlich nicht parat

AUS LISSABON MARTIN HÄGELE

Gerhard Mayer-Vorfelder hatte es wohl schon geahnt, als sich gestern Morgen Ottmar Hitzfeld telefonisch auf dem Zimmer des DFB-Präsidenten meldete und das Angebot, Nachfolger von Rudi Völler zu werden, dankend ablehnte. Man hat sich dann auf eine gemeinsame Presseerklärung geeinigt. Der Teil Hitzfeld: „Diese Entscheidung ist mir sehr, sehr schwer gefallen. Das Amt des Bundestrainers ist eine Auszeichnung, die Weltmeisterschaft im eigenen Land ein Traum. Aber ich bin derzeit nicht in der Verfassung, die nötig ist, der deutschen Nationalmannschaft bis zur WM 2006 weiterzuhelfen – so, wie ich das unbedingt für nötig halte. Ich möchte mich für das mir entgegengebrachte Vertrauen bedanken. Mit Herrn Mayer-Vorfelder habe ich ein gutes Gespräch geführt und wir hatten Einigkeit in allen wesentlichen Punkten erzielt.“

Mayer-Vorfelders Erklärung schloss sich an: „Ich bedauere die Entscheidung von Ottmar Hitzfeld, aber ich habe sie zu respektieren. Über die neue Situation und die Namen möglicher Kandidaten wird im DFB-Präsidium am Montag zu beraten sein.“ Um die Mittagszeit gaben die beiden größten Nachrichtenagenturen Voralarm, wie das bei Erdbeben oder Attentaten passiert. Um 14.59 Uhr stürzte, laut dpa, „die Hitzfeld-Absage den DFB ins Dilemma“, kurz darauf meldete der sid: „DFB und MV stehen vor einem Scherbenhaufen.“

Das Nein des allgemeinen Wunschkandidaten hat den DFB-Chef nicht ganz unvorbereitet getroffen. Bereits am Vorabend hatten die Telefone in Hitzfeld nahe stehenden Kreisen gebrummt, nachdem der unter Freunden plötzlich räsonierte: Wenn er seinen Körper frage, dann sage der nein. Die letzte Zeit beim FC Bayern München hätten ihn zu viel innere Kraft gekostet. Der Akku sei noch nicht wieder richtig aufgeladen. Einige Ottmar Hitzfeld nahe stehende Menschen haben zwar versucht, ihm dieses Burn-out-Syndrom wieder auszureden – doch der 55-Jährige blieb hart gegenüber der großen Versuchung.

Nichtsdestotrotz wirft die Absage Fragen auf: Warum hat Ottmar Hitzfeld, der als Kopfmensch gilt, so spontan und so direkt seine Bewerbung abgegeben, als Völler noch seine letzten Stunden im DFB-Dienstanzug unterwegs war? Warum herrschte nach dem Gespräch am Sonntag in Valencia so schnell Einigkeit mit Mayer-Vorfelder, und schien die erbetene Bedenkzeit nur eine Formalie? Oder war es am Ende doch die überhitzte deutsche Medienlandschaft, die Hitzfelds Berater Peter Olsson schon am Mittwoch sagen ließ: „Die Presse schafft es tatsächlich noch, dass er es nicht macht.“ Die Familie Hitzfeld musste in der Tat in den vergangenen Tagen erfahren, dass Bundestrainer die Steigerung von Bayerncoach ist.

Irgendwann wird es auf all diese Fragen Antworten geben, zunächst aber wird noch wilder weiterspekuliert. Dieses Klima entwickelt sich vor allem für den 71-jährigen Mayer-Vorfelder immer gefährlicher, obwohl der alte Machtmensch aus dem ersten Teil der vermaledeiten Bundestrainersuche gelernt hat. Diesmal ist die wichtigste Personalie hierzulande nicht mehr „alleinige Chefsache“, am Montag bei der außergewöhnlichen Vorstandssitzung werden wieder alle mit eingebunden, die vorher vom Alten vor die Tür geschickt worden waren. MV wird für sein zaristisches Verhalten schon noch seine Strafe bekommen; wie es aussieht, planen seine Präsidiumskollegen beziehungsweise deren Landesverbände insgeheim den Sturz des selbstherrlichen Patrons.

Schon empfehlen vernünftige Stimmen aus der Bundesliga, die Präsidentenfrage und die Trainersuche auseinander zu halten. Man könne, da auf dem deutschen Trainermarkt keine entsprechenden Kapazitäten frei sind, zum ersten Mal auch über einen Ausländer nachdenken, den Holländer Guus Hiddink vom PSV Eindhoven etwa. Es spricht auch nichts dagegen, sich Zeit zu lassen und Völlers Assistenten Skibbe beim nächsten Freundschaftsspiel interimistisch zu befördern. Es geht ja am 18. August in Wien um keine EM- oder WM-Qualifikationspunkte, sondern nur gegen Österreich.

Möglicherweise hat sich Ottmar Hitzfeld ja in zwei, drei Monaten insoweit mental erholt. Michael Meier, der Dortmunder Manager und enge Vertraute Hitzfelds, schließt eine solche Umkehr jedenfalls nicht aus. Auch er empfiehlt: abwarten. Garantiert wird bis dahin noch sehr viel Blödsinn in dieser Richtung zu lesen sein. Den schlimmsten verzapfte jetzt schon Fußball-Kaiser Beckenbauer in seiner Bild-Kolumne. Dort tauchen nicht nur Hiddink, Rehhagel und Daum als Kandidaten auf, sondern tatsächlich auch Lothar Matthäus. Das hieße nicht nur Alarm oder Scherbenhaufen, es wäre wirklich der GAU in Fußball-Deutschland.