„Bei der Integration von neuen Migranten ist sanfter Druck sinnvoll“, sagt Gert G. Wagner

Das Zuwanderungsgesetz ist besser als sein Ruf. Denn nun ist verbrieft, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist

taz: Herr Professor Wagner, haben Sie eine Lupe im Büro?

Gert G. Wagner: Ja, sie ist Bestandteil eines Reisesets.

Das ist praktisch. Der grüne Verhandlungsführer Volker Beck hat gesagt, im neuen Zuwanderungsgesetz seien die Regeln zur Arbeitsmigration „so weit geschrumpft, dass man schon eine Lupe nehmen muss, um eine Modernisierung zu finden“. Finden Sie noch was?

Das kommt darauf an, was man erwartet. Ich brauche keine Lupe, um im Bereich der Höchstqualifizierten und Selbstständigen Verbesserungen festzustellen.

Wird Deutschland wirklich attraktiver durch dieses Gesetz mit seinen zahlreichen Sicherheitsvorschriften? Hat ein Neuzuwanderer Lust, nach Deutschland zu kommen, wenn er mit einer Regelanfrage beim Verfassungsschutz begrüßt wird?

Dass es Überprüfungen gibt, ist auch in klassischen Einwanderungsländern so. Da fällt Deutschland nicht grundsätzlich aus dem Rahmen. Der Unterschied ist, dass dies hierzulande mit deutscher Gründlichkeit getan wird. Für die meisten Zuwanderer hat diese Regelanfrage aber faktisch keine Bedeutung – vorausgesetzt, es kommt nicht zu einer übertriebenen Anwendung, die für weltweites Kopfschütteln sorgt. Wichtiger ist, dass die Aufnahme und der dauerhafte Aufenthalt für Qualifizierte durch das Gesetz erleichtert werden.

Ist das nicht ein bisschen wenig für eine Reform, die ursprünglich einen „Paradigmenwechsel“ hin zu einer offenen, modernen Einwanderungsgesellschaft darstellen sollte?

Offen sind wir ja sowieso. Nach Deutschland findet ohnehin permanent Zuwanderung von Nichtqualifizierten statt. Denn auf Grund des Familiennachzugs und der humanitären Verpflichtungen lässt sich Zuwanderung nur begrenzt steuern. Die Kunst einer modernen Zuwanderungspolitik ist, mehr Qualifizierte und Hochqualifizierte ins Land zu bekommen. Dafür ist ein erster Schritt gemacht. Ob er im internationalen Wettbewerb um Qualifizierte modern genug ist, muss sich zeigen.

Haben sich für diesen kleinen Schritt die jahrelangen Verhandlungen gelohnt?

Ja, kein Zweifel. Der größte Erfolg ist, dass es überhaupt zu einer Einigung kam. Es ist ja in Deutschland jahrzehntelang bestritten worden, dass wir Zuwanderungsland sind. Es ist erfreulich, dass das jetzt von allen Parteien akzeptiert wird. Ich bin kein Wissenschaftler, der bei jeder Gelegenheit noch mehr von der Politik fordert. Man muss auch loben können, wenn es etwas zu loben gibt. Aus meiner Sicht ist das Gesetz jedenfalls besser als sein Ruf, weil es die Realität der Zuwanderung anerkennt.

Sie sind sehr bescheiden. Wollen Sie die Politiker auch loben, wenn sie offiziell feststellen, dass es im Winter öfter schneit als im Sommer?

Kommt drauf an. Es gibt Länder, wo das nicht der Fall ist! Sie sollten aber eines nicht übersehen: Die parteiübergreifende Feststellung, dass es erhebliche Zuwanderung nach Deutschland gibt, hat dazu geführt, dass die Integration ein wichtiger Bestandteil des Gesetzes geworden ist. Die Integration ist lange sträflich vernachlässigt worden, nun steht im Gesetz, dass etwas getan werden muss. Aber auch hier wird sich erst in der Praxis zeigen, ob es ausreicht. Immerhin ist es aber ein Anfang.

Aber ist es wirklich ein guter Anfang, dass den Migranten sofort mit drastischen Sanktionen gedroht wird, wenn sie die Integrationskurse nicht ordnungsgemäß absolvieren?

Für die Zuwanderer, die neu kommen, ist ein gewisser, sanfter Druck durchaus sinnvoll, so wie bei Kindern, die zur Schule gehen müssen. Problematischer ist eine Pflicht zur Integration sicher bei den Migranten, die schon in Deutschland leben.

Warum?

Weil leider nicht auszuschließen ist, dass die mögliche Verpflichtung zur Teilnahme an Integrationskursen von manchen Behörden als Hebel benutzt wird, um umstrittene individuelle Entscheidungen gegen Ausländer herbeizuführen.

Nach dem Motto: Wir verpflichten dich zur Integration, und wenn du nicht ordentlich mitmachst, machen wir dir das Leben in Deutschland schwer?

Kann passieren. Da wird es sicher noch Probleme und Diskussionen geben. Aber dass es in den unterschiedlichen Bundesländern unterschiedliche Regelungen geben wird, kann man auch positiv sehen: Der eine kann vom anderen lernen. Nach einer Weile wird man eine Bilanz ziehen müssen und sehen, was sich bewährt hat und was nicht. Das ist sicher auch eine Aufgabe für den Zuwanderungsrat …

der von Innenminister Otto Schily eingesetzt wurde. Sind Sie nur dazu da, Entscheidungen abzunicken, oder werden Sie die Regierung zu weiteren Reformen drängen?

Wir werden zunächst die Auswirkungen des Gesetzes analysieren, bewerten und natürlich auch Empfehlungen abgeben.

Glauben Sie, dass es in Zukunft doch zu einem Punktesystem zur Neueinwanderung kommen wird, das jetzt unter den Tisch gefallen ist?

Das kann sein. Es gibt da allerdings ein großes Missverständnis bei manchen, die den Wegfall des Punktesystems bedauern. Auch und gerade das Punktesystem dient der Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung.

So wie der bayerische Innenminister Günther Beckstein sagte: Wir brauchen mehr Ausländer, die uns nützen?

Ja, genau darauf zielt es ab.

INTERVIEW: LUKAS WALLRAFF