Abschied von der heiligen Familie

Union sagt sich los von der Frau als Herrin der Familie: Sie soll ihre Kinder in zartestem Alter in die Kita geben können. Tagesmütter werden Hilfsprofessorinnen. 2,5 Milliarden Euro für die frühkindliche Bildung müssen her – nur woher?

BERLIN taz ■ Darauf haben sie gewartet. Den Tag, an dem Familienministerin Renate Schmidt (SPD) die Hartz-IV-Einigung als „Startschuss für den Ausbau der Kinderbetreuung“ begrüßte, nutzten die Unionsleute. Lange und immer wieder hatte die rote Frontfrau für ein Gesetz trompetet, das mehr Bildung unter Vorschulkinder bringen sollte. Gleich vier Bundestagsabgeordnete von CDU und CSU traten nun an, um Schmidt an den Kragen zu gehen. Aber nicht von rechts attackierten sie Rot-Grün – die Union nahm Abschied von ihrer heiligen Familie.

Maria Böhmer, Maria Eichhorn, Peter Götz und Ingrid Fischbach – das ist die geballte familien-, frauen-, bildungs- und kommunalpolitische Kompetenz der Unionsfraktion – stellten das Familienbild der Union auf den Kopf. Frauen und Familien, so die Kurzform, müssten so früh wie möglich ihre Kinder in fachkundige Betreuung abgeben können. Mehr noch: Statt Betreuung sollen bereits unter Dreijährigen Bildungschancen eingeräumt werden. „Wir haben erheblichen Nachholbedarf beim Angebot für unter Dreijährige und bei Ganztagsplätzen“, so skizzierte die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Böhmer, die Situation der frühkindlichen Bildung. Völlig zu Recht – und völlig überraschend.

Das ist für die Union nämlich ein ganz neuer Zungenschlag. Aber den bewiesen die drei Damen und ihr Finanzfachmann sichtlich amüsiert. Es müsse Schluss sein mit der „immerwährenden Anbiederungspolitik der Bundesregierung an die Familien“, teilte Frau Böhmer lächelnd mit. Sie bezog das darauf, dass Rot-Grün seit langem 1,5 Milliarden Euro pro Jahr für die frühkindliche Bildung anbietet – ohne Vollzug melden zu können.

Peter Götz merkte dazu maliziös an: „Der Zeitpunkt dafür ist vielleicht schon verpasst.“ Er meinte: Ausgerechnet die Rot-Grünen, die so viel von den Kompetenzen der Steppkes reden, bringen nichts zuwege. Die Union sieht das Thema neuerdings so: „Unsere Krippen, Kindergärten und Horte müssen für die Anforderungen der Wissensgesellschaft gerüstet sein.“

Der Schwenk der Union klingt spektakulär. Während Teile von Rot-Grün davon reden, die Ausbildung von Kita-Erzieherinnen endlich auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen, geht die Union sogar darüber hinaus. Selbst Tagesmütter sollen Hilfsprofessorinnen werden, im O-Ton: Sie müssten wissen, „welches Bildungsangebot zeitgemäß ist […] und wie sie Kinder in ihren Bildungsprozessen unterstützen können“. Und wo Renate Schmidt Krippenplätze nur solchen Müttern zugestehen will, die berufstätig sind, öffnet sich die Union selbst hier. „Das kann man nicht beschränken“, forderte Maria Böhmer, auf Deutsch: Alle Mütter müssten jederzeit die Chance haben, ihr Kind in die Kita zu bringen.

Nur bei der Finanzierung blieben die neuen Bildungsfreaks der Union blass. Die Frage, woher die geforderten 2,5 Milliarden Euro pro Jahr für das Programm „Bildung satt“ kommen sollen, beantworteten sie mindestens so schwammig wie Rot-Grün. „Das ist eine gesamtgesellschaftliche und ganzheitliche Aufgabe.“ CHRISTIAN FÜLLER

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