Landreform im Wurstformat

Kartoffeln für alle, Kräuter für viele: „N55“ überzieht die Stadt mit länglichen Erdsäcken, in denen die Setzlinge eines neuen gesellschaftlichen Umgangs mit Grund und Boden sprießen

Hochkonzentriert, trotz der sengenden Mittagshitze, formen sie ihre Wurst. Vier Paar dänische Hände. Der Gaze-Stoff strafft sich, die Erde im Inneren zieht Wasser aus einem porösen Schlauch, dann ist es so weit: Basilikumduft weht über den Teerhof. Das Pflänzchen hat sein neues Bett gefunden.

„Es ist eine Mischung aus Säen und Setzen“, beschreibt Kuratorin Eva Schmidt den künstlerischen Zugriff. Die Buschbohnen beispielsweise würden gesät, um sich dann ebenfalls zu „Plant Moduls“ der Kopenhagener KünstlerInnengruppe N55 zu entwickeln. Alles zusammen ist Teil des von der Bundeskulturstiftung geförderten Projekts „Niemand ist eine Insel“. Unter diesem Label lassen das Gröpelinger „Lichthaus“ und die „Gesellschaft für Aktuelle Kunst“ (GAK) bis Ende Oktober 15 Teilprojekte stattfinden.

Kunstgärtnern hat in Bremen Tradition. Man denke nur an Alfred Taakes Geranien-Attacken oder den Mohnblumensegen, mit dem die Kunsthalle die Stadt überzog. Doch die N55er wollen nicht nur Symbolhaftes oder Werbeträchtiges bieten, sondern praktischen Nutzwert.

Jedem „Pflanzen-Modul“ ist eine Gebrauchsanweisung beigefügt. Zum richtigen Bewässern, Ernten – und zum Nachbauen. Denn die Aktion, damit weist sie sich ein weiteres Mal als Kunst aus, verfügt über eine Vision: Alle sollen gärtnern und ackern können, unabhängig von Grundbesitz – eine „grundsätzlich demokratische Idee“, findet Mit-Kurator Horst Griese.

Den Anfang haben jetzt also die Dänen gemacht. Immerhin 20 Kubikmeter Erde ist über die Stadt verteilt, verpackt in kleine und große Würste. Die schönste der bisherigen Garteninseln ist im ehemaligen Güterbahnhof entstanden. Dort ringeln sich die Basilikum- und Dillwürste um ein zentrales Kartoffelmodul, das Ganze ist kunstvoll mit Schläuchen verbunden und speist sich aus der Regenrinne der alten Lagerhallen.

Und wenn selbst deren Reservoir erschöpft ist? „Dann gießen das die Nutzer der Güterbahnhof-Ateliers“, sagt Griese. Schließlich brauchten Künstler „rentnerhafte Ruhe“ und entsprechende Tätigkeiten. Auch der Friseur im Kontorhaus Langenstraße will das Modul vor seinem Laden sorgsam pflegen, Steuerberater Meyer und die Fraueninitiaitive in der Herbststraße haben auch Gießdienste zugesagt, um das Kapillarsystem im Inneren der Säcke zu füttern.

„Wir wollen mit dieser Ausstellung überall sein“, betont Eva Schmidt den ausgesprochen partizipativen, um nicht zu sagen interaktiven Charakter der lebensumfelddurchdringenden Aktion.

Was auch heißt: „Wir testen jetzt die kriminelle Energie der Bremer.“ Schließlich könnten die Erdwürste zum „Reinrammen mit dem Messer“ verlocken, so Schmidt. Für verletzte Module liegt jedenfalls mullartiges Verbandsmaterial bereit. Aber vielleicht erweisen sie sich auch als interaktionsresistent.

Bisher hat N55 sein funktionales Design eher auf Gebieten wie Möbelbau, solarbetriebene Motorboote und schwimmende Häusern erprobt. Immer geht es um die Verfügbarmachung einer Idee, die Prototypen gelten als preiswert nachbaubar. Dieses Anti Copyright-Konzept erinnert an die ebenfalls skandinavische Entwicklung des Linux-Betriebssystems und dessen Free Software-Philosophie.

Das spezielle Anpflanzprojekt mag in Bremen, der Stadt der Kleingärtner und ParzellistInnen, weniger outstandig wirken als andernorts. Doch N55 hat noch mehr in petto. Im September soll im Werdersee eine mobile Fischzuchtanlage installiert werden. Fachleute des hiesigen Meeresbiologischen Instituts hätten „eine spezielle Barschart“ für das Fishfarming vorgeschlagen, erläutert Griese.

Im Herbst, wenn das erste selbst gezüchtete Flossentier neben der eigenhändig gesetzten Kartoffel auf dem Teller liegt, komplettiert sich also das Menü des gemeinschaftlichen Autarkismus. Wohlgenährt werden sich die BremerInnen dann auf Silke Wagners „Insel“-Projekte einlassen können. Die hat mit der Kampagane „Lufttransa Deportation Class“ bereits für Diskussionen um die Abschiebepraxis von Flüchtlingen gesorgt.

Henning Bleyl

Informationen über das Gesamtprojekt im Internet unter www.niemand-ist-eine-insel.de