Der Trend geht zum Kürzen

In ganz Europa werden Sozialleistungen beschnitten. Auf vielfältige Weise

BERLIN taz ■ Nicht nur in Deutschland wird bei den Sozialleistungen gespart – dies ist ein europaweiter Trend. Anderswo sind allerdings meist Rentenkürzungen und Streichungen im Gesundheitssystem das große Thema. Aber auch der Arbeitsmarkt ist bei unseren Nachbarn in Bewegung. Ein paar Beispiele:

In den Niederlanden sollen bis 2007 mehr als 15 Milliarden Euro an den Sozialleistungen und im Gesundheitwesen gekürzt werden. Zugleich arbeiten Gewerkschaften und Arbeitgeber daran, das „Poldermodell“ wieder auferstehen zu lassen. Durch moderate Lohnabschlüsse will man international wettbewerbsfähiger werden, für 2004 und 2005 sind Nullrunden vorgesehen. Dennoch steigt die Arbeitslosigkeit rasant und hat schon etwa 7 Prozent erreicht. Ein Grund: Es ist nicht mehr so leicht, sich „berufsunfähig“ erklären zu lassen.

In Italien wurde 2002 der Kündigungsschutz ein wenig aufgeweicht – im Gegenzug erreichten die Gewerkschaften, dass das Arbeitslosengeld ein Jahr statt sechs Monate gezahlt wird. Außerdem beträgt es im ersten Halbjahr jetzt 60 statt 40 Prozent des Nettogehalts. Dieses Abkommen mit Berlusconi spaltete die Gewerkschaften, die aber im Kampf gegen Rentenkürzungen wieder zusammengefunden haben.

In Großbritannien zahlt der Staat nur eine geringe Arbeitslosenunterstützung, die aber durch Beihilfen etwa zur Miete ergänzt wird. Vor allem wird der Niedriglohnsektor durch die „negativen Einkommensteuer“ subventioniert: Gering Verdienende erhalten Zuschüsse. Dies lässt sich finanzieren, weil Großbritannien seit Jahren von einem starken Wirtschaftswachstum profitiert. Anders als in Deutschland konsumieren die Bürger dort nämlich freudig. Ein möglicher psychologischer Grund: Die Immobilienpreise steigen immer weiter, was jedem Hausbesitzer ein Gefühl von Reichtum vermittelt.

Beneidenswert sind immer noch die Verhältnisse in Dänemark: Zwar wurde die maximale Bezugsdauer von Arbeitslosengeld von 9 auf 4 Jahre abgesenkt – dafür beträgt es aber 90 Prozent des Nettoeinkommens. Da lässt es sich gut aushalten, dass Dänemark fast keinen Kündigungsschutz kennt. Gleichzeitig gibt es vielfältige staatliche Maßnahmen, um die Arbeit zwischen Erwerbstätigen und Arbeitslosen umzuverteilen. Dazu gehört etwa die „Jobrotation“. Allerdings ist nach einem Jahr jede Arbeit zumutbar – und wer Angebote ablehnt, dem werden Leistungen gekürzt oder ganz gestrichen.

In Frankreich dreht sich die Debatte vor allem um die 35-Stunden-Woche, die zwar generell gilt, aber in Kleinbetrieben oft nicht praktiziert wurde. Jetzt will Präsident Chirac die Wochenarbeitszeit erhöhen.

Und ein Blick nach drüben: In den USA erhalten nur etwa 40 Prozent aller Arbeitslosen eine Unterstützung – und das meist nur für 26 Wochen. Das durchschnittliche Arbeitslosengeld liegt bei 45 Prozent des letzten Nettolohns.

ULRIKE HERRMANN