Serbiens Warlords droht die Auslieferung

Kehrtwende in Belgrad: Außenminister Drašković verlangt Überstellung serbischer Kriegsverbrecher an UN-Tribunal

BELGRAD taz ■ Niemand wollte es, niemand wagte es, also übernahm Vuk Drašković die Initiative: Der Außenminister von Serbien und Montenegro hat dem Belgrader Kreisgericht und dem Justizministerium die bestehenden internationalen Anklagen wegen Kriegsverbrechen gegen vier serbische Armee- und Polizeigeneräle weitergeleitet und damit die Prozedur für ihre Verhaftung erstmals auch formal in Gang gesetzt. Das UNO-Tribunal in Den Haag hatte diese Anklagen vor rund acht Monaten erhoben. Unter dem Vorwand, dass die Auslieferung der Generäle „Unruhen in den Streitkräften“ auslösen und die „Stabilität Serbiens bedrohen“ könnte, war jedoch diesbezüglich bisher nichts unternommen worden.

Als Mitglied der UNO sei Belgrad verpflichtet, mit dem UN-Tribunal zusammenzuarbeiten, erklärte Drašković energisch. Alles andere würde die internationale Isolation und Verhöhnung bedeuten und die europäischen Integrationsprozesse Serbiens für lange Zeit aufhalten. Da dürfe man keine Kompromisse machen. Wenn man schon nicht wisse, wo sich Radovan Karadžić und Ratko Mladić befinden, dann erwarte er von der Justiz, die Angeklagten vorzuladen, die frei in Belgrad herumspazieren und überall Interviews geben, sie notfalls zu verhaften und dem Tribunal auszuliefern.

Die Angeklagten sind damit nicht einverstanden. „Niemand kann mich zwingen, mich dem Tribunal zu stellen“, erklärte Exgeneralstabschef Nebojsa Pavković. Nur das „Volk“ können über ihn, der sein Vaterland heldenhaft verteidigt hätte, urteilen. „Tot“ würde man ihn jedenfalls nicht ausliefern können.

Drašković hat nun aber den national-konservativen Premierminister Serbiens, Vojislav Koštunica, peinlich unter Druck gesetzt. Auf der einen Seite bezeichnet Koštunica das UNO-Tribunal als eine „politische“ Institution, die als Druckmittel gegen Serbien „missbraucht“ werde. Die Zusammenarbeit mit dem Tribunal werde „keine Priorität“ seiner Regierung sein, hatte er zu Beginn seines neuen Mandats vor drei Monaten versprochen. Auf der anderen Seite gibt sich der Premier als ein Legalist aus, und das bestehende Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Tribunal schreibt die Auslieferung aller Angeklagten vor.

Koštunicas Demokratische Partei Serbiens (DSS) kritisierte auch heftig die jüngsten strengen Maßnahmen des hohen Vertreters der internationalen Gemeinschaft in Bosnien, Paddy Ashdown, gegen die bosnisch-serbischen Politiker, die sich einer Zusammenarbeit mit dem UNO-Tribunal widersetzten. „Demokratisch gewählte Volksvertreter“ abzulösen sei eine gefährliche Machtdemonstration.

Eine politische Krise ist nun in Serbien wieder einmal vorprogrammiert. Wenn die Angeklagten verhaftet werden, droht die „Sozialistische Partei Serbiens“ (SPS) unter dem Vorsitz des Haager Häftlings Slobodan Milošević, der serbischen Minderheitsregierung die Unterstützung im Parlament zu entziehen. Wenn nicht, würde sich Serbien einem heftigen internationalen Druck aussetzen und Koštunicas prowestliche Koalitionspartner könnten aus der Regierung austreten. ANDREJ IVANJI