ORTSTERMIN: CLAUS PEYMANN BESUCHT OSNABRÜCK
: Die Unsterblichkeit des Peymann-Kults

Es ist ein mühsamer Weg hinauf in die kleine Spielstätte des Osnabrücker Theaters. Wer nicht eine komplette Zigarettenlänge auf den alten Fahrstuhl warten möchte, hat einen anstrengenden Aufstieg in die oberste Etage vor sich. An diesem Tag erscheint dieser Aufstieg fast symbolisch. Unten das schnöde Städtchen Osnabrück mit seinem kleinen, aufstrebenden Schauspiel. Oben der Big Boss der Theaterlandschaft: Claus Peymann im obligatorischen, leicht zerschlissenen schwarzen Anzug, der eine Nummer zu groß für den 71-Jährigen ist.

Dass sich der Chef der einstigen Bertolt-Brecht-Wirkungsstätte Berliner Ensemble von der Spree an die Hase bequemt, erinnert an eine nicht weit zurückliegende Auseinandersetzung. Im September hatte Osnabrück die Deutsche Erstaufführung von Brechts „Judith von Shimoda“ gezeigt, und Peymann lästerte lauthals: „Wer hat denn da geschlafen?“ Das Berliner Ensemble beansprucht die Uraufführungsrechte der Marke Bertolt Brecht für sich.

Doch von diesem Skandälchen ist heute Abend nichts zu spüren. Die braven Niedersachsen sind in hoher Stückzahl erschienen und bereiten dem Urgestein einen adäquaten Empfang. Niemand hier nimmt dem graumelierten Herrn seine Äußerungen übel. Insgeheim ist man ihm sogar dankbar, dass er mit seiner Frotzelei auch die Osnabrücker „Judith“ in die Feuilletons katapultierte. Und so hat man Peymann ein hohes, breites, weißes Podest bereitet, auf dem er mit Stuhl und Notenpult herumrutscht und mit dem Arrangement doch nie richtig zufrieden wird.

Peymann will nicht von vornherein die Rolle des Theatergiganten aus der großen, fernen Metropole spielen und schwärmt von der Schönheit des Örtchens am Teutoburgerwald. Als er bedauert, als Bremer nicht öfter die niedersächsische Stadt besucht zu haben, schlittert er ziemlich dicht an der Schleimgrenze entlang. Da rollen bereits die ersten Schweißtropfen über Stirn und Wange. Denn der Gast wird durch die Osnabrücker nicht nur groß in Szene gesetzt, sondern auch hervorragend ausgeleuchtet.

Peymann schiebt seinen Stuhl kreuz und quer über die Bühne, wirft immer wieder seinen Regisseurblick zu den Scheinwerfern und erklärt: „Ich finde den richtigen Platz nicht, aber das wird sich heute nicht mehr lösen lassen.“ Der Satz könnte auch eine Zusammenfassung des Buches sein, das er in seinen Händen hält. In „Peymann von A-Z“ hat der Berliner Journalist Hans-Dieter Schütt die Stationen des Titelhelden in chaotischer Reihenfolge durchpflügt und dafür zusammengerafft, was Peymann gesagt und geschrieben hat, beziehungsweise über Peymann gesagt und geschrieben wurde.

Während Peymann aus dem Buch über sich selbst vorliest, zeigt er zugleich sein inszenatorisches Geschick. Er verschwindet für Thomas Bernhards Briefe an „CP“ hinter dem schwarzen Pult, springt für aphoristische Gedankenblitze mit erhobenem Zeigefinger an den Bühnenrand und sitzt bei seinen eigenen Worten auf dem Stuhl. Dort scheint aber die Bequemlichkeit zu fehlen, denn Peymann windet sich hin und her, wechselt quasi im Fünf-Sekunden-Takt die Sitzposition.

Dabei ist ihm der Spaß an den Zitaten aus dem eigenen Leben deutlich anzusehen, Kritiker- und Zuschauerbeschimpfungen entlocken ihm ein breiteres Grinsen: „Ihnen gehört die Mistgabel auf den Kopf gearscht“, rezitiert der so Gescholtene genüsslich laut und erklärt, er glaube „an die Unsterblichkeit des Theaters wegen der Unsterblichkeit der menschlichen Probleme“.

Dann geht er von der Bühne und die Zuschauer kommen nicht mehr zu Wort. Peymann hat vollbracht, wofür gekommen war: Darstellung seiner selbst. HEIKO OSTENDORF