Mehr Zeit für mehr Arbeit
: Island & Litauen: Andere Regeln

VON REINHARD WOLFF

Birgir Dinleiffson ist ein typischer Isländer. Er arbeitet 45 Stunden in der Woche, obwohl er schon vor ein paar Monaten seinen 65. Geburtstag gefeiert hat. In zwei Jahren könnte er eigentlich in Pension gehen. Doch wahrscheinlich wird er bis zu seinem Siebzigsten arbeiten. „Es ist schon ein wenig stressig“, gesteht er, „früh um 8 Uhr anzufangen und, abgesehen von einigen Pausen, bis 18 Uhr durchzumachen. Aber wir sind ein wenig unterbesetzt in unserem Betrieb. Und so mach ich halt weiter.“

Birgir Dinleiffson ist keine Ausnahme. Island ist in Europa das Land mit der wohl längsten wöchentlichen Arbeitszeit. 47,3 Stunden wird auf der Insel mit nur 280.000 Einwohnern durchschnittlich gearbeitet.

Sein jetziger Chef hat Birgir als 58-jährigen eingestellt, nachdem ihm seine alte Firma einen neuen Arbeitsvertrag mit schlechteren Bedingungen präsentiert hatte. In Island gibt es kaum einen Kündigungsschutz. Das funktioniert, weil das Land traditionell einen Mangel an Arbeitskräften hat und deshalb wenig gekündigt wird. Firmen haben es schwer, Arbeitskräfte zu finden, und solche, die einen schlechten Ruf haben, noch schwerer.

Am anderen Ende der Arbeitszeitskala findet sich überraschend Litauen wieder. Mit 39,4 Stunden wird hier weniger als in allen anderen osteuropäischen EU-Beitrittsstaaten gearbeitet. Dies hat den positiven Effekt, dass die zweistellige Arbeitslosenrate nicht noch höher ist. Zugleich jedoch ist das Land auch eines der wirtschaftlich erfolgreichsten in Osteuropa, es kann mit jährlich 5 bis 7 Prozent auf eine der höchsten Wachstumsraten der EU verweisen.

Die Arbeitszeit von maximal 40 Stunden pro Woche muss in Litauen rigoros eingehalten werden. Überstunden sind grundsätzlich verboten, es gibt nur wenige Ausnahmen. Maximal 4 Überstunden innerhalb von 2 Tagen sind erlaubt, höchstens 120 im Jahr, und diese müssen mit Ruhe- und Urlaubszeiten ausgeglichen werden.

Dabei fehlt es in Litauen an starken Gewerkschaften. Doch gab es in den ersten Jahren der Unabhängigkeit, anders als in den baltischen Nachbarländern, linke Parlamentsmehrheiten, die ihre Spuren in der Arbeitsrechtsgesetzgebung hinterlassen haben. Doch dies hat inzwischen Folgen, die man sonst eher aus dem Westen kennt. In den letzten Monaten hat die ein oder andere Firma ihre Produktion weiter nach Osten verlegt. Begründung: Litauen könne man sich – auch wegen des Arbeitsrechts – „nicht mehr leisten“.