Die Nazizeit im Versteck überlebt

Bert Lewyn ist einer von rund 1.700 Juden, die „Versteckt in Berlin“ die Nazizeit überlebt haben. Jetzt hat er ein Buch mit diesem Titel über seine Geschichte veröffentlicht – für seine Nachfahren

VON PETER NOWAK

Bert Lewyn musste lange warten, bis er zu Wort kam. Dabei ging es auf der Pressekonferenz vor ein paar Tagen um seine Lebensgeschichte. Und doch auch wieder nicht. Vorgestellt wurde die deutsche Ausgabe seines Buches, in dem er sein Leben als illegaler Jude in Berlin während des Nationalsozialismus beschreibt. Doch zunächst ging es an diesem Tag um die sogenannten stillen Helden. Das sind Menschen, die Menschen wie Lewyn versteckt oder sie unterstützt haben.

Zwischen 5.000 und 7.000 Juden haben in Berlin versucht, sich ihren Verfolgern zu entziehen, erklärt die Historikerin Brigitte Scheib. Nur rund 1.700 Illegale haben das NS-Regime überlebt. „Illegale musste ständig mit ihrer Verhaftung rechnen“, sagt Scheib. Sie mussten sich nicht nur vor staatlichen Organen, sondern auch dem Großteil der deutschen Bevölkerung in Acht nehmen. Selbst manche Helfer nutzten ihre Notlage aus. So wurde die untergetauchte Jüdin Ilse Lewin, die nicht mit Bert Lewyn verwandt ist, von einem Schneidermeister, der sie weiterbeschäftigte, sexuell bedrängt. Solche Fälle recherchiert die Gedenkstätte „Stille Helden“, die Ende Oktober 2008 in der ehemaligen Blindenwerkstatt Otto Weidt in der Rosenthaler Straße 39 eröffnet wurde. In diesen Räumen konnten sich während der NS-Zeit rund 30 Juden für einige Zeit verstecken.

Lange Zeit wurde über die Illegalen und ihre HelferInnen weitgehend geschwiegen. Erst in den letzten Jahren wurde ihre Geschichte genauer erforscht. Auch Lewyn, der im Nationalsozialismus den Großteil seiner Freunde und Verwandten verlor, 1949 in die USA emigrierte und seinen Vornamen in Bert veränderte, schwieg lange über seine Zeit als Illegaler in Nazideutschland.

„Die Verpflichtung zum Aufbau einer Existenz und vielleicht auch die Befürchtung, dass sie die Schrecken des Holocaust nicht verarbeiten können, hielten mich davon ab“, begründet er sein langes Schweigen. Doch im Alter wuchs sein Wunsch, dass seine Kinder und Enkel etwas über seine Geschichte erfahren und das später auch an jüngere Generation weitergeben können. Vor allem der wachsende Antisemitismus hat Lewyn bewogen, seine Biografie auch in Deutschland zu veröffentlichen.

Acht Jahre nach seiner Veröffentlichung in den USA ist das Buch jetzt unter dem Titel „Versteckt in Berlin“ im Berliner Metropol Verlag erschienen. Dort beschreibt Lewyn die drei Jahre seines illegalen Lebens in Berlin und Umgebung. Geholfen haben ihm unter anderem ein Alkoholiker, ein Kommunist und ein Angehöriger der unter den Nazis verfolgten Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas. Manchmal hatte er auch keinerlei Unterstützung und musste im Wald Tauben fangen, um nicht zu verhungern. Kurz vor Kriegsende wurde er von der Gestapo gefasst, konnte allerdings wieder aus dem Gefängnis fliehen.

Lewyn gehört zu den wenigen NS-Verfolgten, die heute noch selber berichten können. Auch ihre HelferInnen sind mittlerweile hoch betagt oder schon tot. Und die Erinnerung an sie wird nicht überall hochgehalten: Vor zwei Jahren wäre in Steglitz fast eine Straße nach einer stillen Heldin benannt worden, die bis zu ihrem Tod im Jahre 2002 unbekannt in dem Stadtteil lebte. Doch die CDU verhinderte, dass aus der Treitschke-Straße die Maria-Rimkus-Straße wurde. Während der preußische Historiker Treitschke ein erklärter Gegner der Judenemanzipation war, unterstützte Rimkus ein untergetauchtes jüdisches Ehepaar mit Essen und falschen Papieren.

Lewyn Bert, Lewyn Saltzmann Bev: „Versteckt in Berlin. Eine Geschichte von Flucht und Verfolgung 1942–1949“. Metropol Verlag, Berlin 2009. 19 €