„Die tun doch niemandem was“

Mit 80 Wagen und vielen Fußgruppen präsentieren sich Lesben, Schwule und Transsexuelle auf der CSD-Parade. Ihr Motto ist politisch: „Weg mit den Mogelpackungen“. Glanz und Gloria fehlen nicht

Von Inge Brunner

Trillerpfeifen, Transen und trainierte Torsos: Es ist wieder CSD-Parade in Köln. Nach Veranstalterangaben kamen am Wochenende an die 800.000 Menschen – zum Feiern, Diskutieren und Demonstrieren.

Am frühen Sonntag Nachmittag drängen sich die Menschenmengen in den engen Gassen, um die Abschlussparade zu begehen. Auf 80 Wagen und in unzähligen Fußgruppen präsentieren sich Lesben, Schwule und Transsexuelle. Sie fordern Gleichberechtigung: „Weg mit den Mogelpackungen“ ist dieses Jahr das Motto.

Damit wird daran erinnert, dass sich die schwul-lesbische Befreiungsbewegung unter einer „gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft“ durchaus mehr vorgestellt hat als das, was die rot-grüne Regierung zunächst daraus gemacht hat: zum Beispiel die Möglichkeit, eine Familie zu gründen. Auch steuerrechtlich und bei Erbschaften kommen gleichgeschlechtliche Paare gegenüber verheirateten immer noch viel schlechter weg. Auch wenn jüngst Justizministerin Zypries Nachbesserungen versprochen hatte: Noch ist nichts sicher. „Schwarzer Heuchler“ nennen die Homosexuellen in Anzeigen den ultrakonservativen Kölner Kardinal Meisner, der seit Jahren seine Predigten zu Hetzreden gegen gleichgeschlechtlich Liebende umfunktioniert.

Aber bei allen Forderungen lässt sich die schwule Szene die Gelegenheit zum Partymachen nicht nehmen. Glanz und Gloria gehören nun mal dazu – schon allein, um das Publikum etwas anzuwärmen. Die Stimmung kocht, als die Schlagersänger Bata Ilic und Patrick Lindner ihre Evergreens hoch vom blauen Wagen des WDR schmalzen. Gutmütig und geduldig gehen wimpernklimpernde Transen auch für Hobbyknipser in Fotopose.

Ist ja alles so schön bunt hier, und der Karneval im Februar war windig und kalt. Prompt schallt es aus den Kehlen zweier Kölscher Mädels, die mit Männern und Kinderwagen angerückt sind: „Da simmer dabei, dat is priiiima, viva Colooonia“. Ein älteres Ehepaar steht in sicherer Entfernung und schaut sich wohlwollend den „Zoch“ an. „Die sind lieb, die tun niemandem was“, sagt die Frau. „Aber diese scheiß Türken und Kurden, die sollen hier bloß nicht demonstrieren, schreiben Sie das ruhig auf!“ Dat is wohl dat berühmte kölsche Hätz.

Ein kleiner alter Mann mit Hörgerät steht am Wegesrand und wartet auf die Parade: „Jeder soll so leben, wie er möchte“, ist seine Meinung. Aber er gibt zu: „Wenn mein Sohn schwul wäre, müsste ich damit leben.“ Und freuen würde es ihn nicht.

Die Wagen bieten eine gute Gelegenheit, die Kommerzialisierung und Differenzierung des Lebensstils „homosexuell“ zu beobachten. Für fast jeden Geschmack scheint das Passende dabei zu sein: Der Verein Seitenwechsel Cologne bietet Tanzkurse für gleichgeschlechtliche Paare an, und schwule Countryboys lassen sich einen rosa Cowboyhut stehen.

„I am what I am“, schallt es ohrenbetäubend dem Publikum entgegen. Es gibt schwule Reisebüros im Internet, und natürlich sponsern auch dieses Jahr wieder große Konzerne die Parade. „Akzeptanz statt Toleranz“ fordert ein mit Heineken-Logos geschmückter Wagen. Und das perfekte Auto für Schwule ist selbstredend das „Christopher Streetka“. Die „Statt Garde“ jubelt laut „Colonia Ahoj“ und ist bestimmt auch beim Rosenmontagszug mit dabei. Und im Brühler Phantasialand gibt es den „Gay Fantasy Day“: Statt als Feen und Trolle verkleiden sich Angestellte des Freizeitparks als Transen.

Wo sind eigentlich die politischen Inhalte auf der Parade? Es gibt sie noch, vereinzelt: Die Gruppe „Off Pride“ hat sich, anders als der Name vermuten lässt, bei den Paradisten eingereiht. Direkt vor dem FDP-Wagen entrollen sie ein Transparent: „Kölner FDP: Romakinder ab ins Heim!“. Den jungen hippen Partei-People im Wagen darauf scheint‘s wurscht: Sie feiern weiter. Ein paar Meter dahinter fordert ein effeminierter Che Guevara eine revolutionäre Sexualität.

Enttäuscht ist Mike Heitmeier von „Gay Misfit“. Die Gruppe versteht sich als Alternative zu Einerlei und Konformitätszwang in der Schwulenszene. Heitmeier hatte in Absprache mit dem Paradenorganisator „Kölner Lesben- und Schwulentag“ (KLuST) einen Truck gemietet. „Das sollte ein Wagen ohne Glamour und Schönheitswahn werden.“ Drei Tage vor der Parade sagte der KLuST ihm ab: „Der Truck ist angeblich einen halben Meter zu lang und kommt nicht um die Kurven.“ Aus Protest verzichteten die Gay Misfits gänzlich auf die Teilnahme. „Dann noch eine Fußgruppe zu machen, war uns auch zu blöd.“

Am Olivandenhof werden klassische Gesten eingeübt: „Kennen Sie schon den ‚einfachen Dekolletégriff‘?“, fragt der oder die Moderatorin und führt ihn vor. Weitere schwule Bewegungen sind der Diademgriff, der Togalgriff, die Vase und die Amphore. Bereits 1971 gab es in Köln eine andere Schwulenbewegung: Die Gay Liberation Front. Sie veranstaltete zwei Jahre nach dem New Yorker Stonewall-Aufstand eine Demonstration in der Domstadt. Die Zahl der Bewegungen hat seither zugenommen, aber die Richtung scheint nicht mehr so klar zu sein.