„Alle Macht den Nanas!“

„Du oder ich?“ im Schnürschuhtheater: die Tanztheater-Gruppe „Terranza“ zeigt das Leben der Künstlerin Niki de Saint Phalle. Die getanzte Biografie ist zugleich ein Tanz der Generationen: Die Darstellerinnen sind zwischen 15 und 51 Jahren alt

Mal fröhlich, mal wütend, mal selbstironisch versuchen zehn Frauen und Mädchen zwischen 15 und 51 Jahren Facetten des Frauseins in Bewegung zu übersetzen. Und damit nicht jede Tänzerin nur die eigene Biografie in die Choreografie einbringt, beziehen sich alle auf Niki de Saint Phalle. Führte sie doch ein Leben, das für zehn Frauen gereicht hätte.

Die Künstlerin wuchs in einer großbürgerlichen Familie auf, wurde vom Vater missbraucht, arbeitete als Fotomodell, heiratete mit 18 Jahren und bekam zwei Kinder. Nach einem Nervenzusammenbruch schaffte sie ihren Aggressionen Luft, indem sie Bilder mit einer Pistole beschoss. Außerdem entstanden die berühmten „Nanas“. Die so drallen wie bunten Frauenfiguren aus Polyester gelten als Symbol für selbstbewusste Weiblichkeit.

„Du oder ich?“, das neue Stück der Jugend-Tanztheater-Gruppe „Terranza“, feierte vergangenen Freitag im Schnürschuhtheater Premiere und zeigt frauenbiografisch beispielhafte Phasen des bewegten Lebens der Niki de Saint Phalle.

Die Tänzerinnen für dieses Projekt hat Leiterin Petra Thielebein über eine Zeitungsanzeige gefunden und als bewusst nicht homogene Gruppe zusammengestellt: Schülerinnen und Berufstätige, mit und ohne Tanzerfahrung, arg schlank und mit ordentlich weiblichen Rundungen.

In den Proben, die in den Schulferien stattfanden, durfte viel improvisiert werden. Dabei seien die Unterschiede zwischen den Altersgruppen aufgefallen, erzählt Thielebein. „Die Jugendlichen waren oft bereiter, Leistung zu bringen, aber anfangs noch etwas scheu.“ Die Älteren hätten da schon eher den Mut gehabt, „krasse Vorschläge zu bringen“ – dafür aber als Berufstätige weniger Zeit, diese umzusetzen. Trotzdem sei es bei den Proben harmonisch zugegangen – „bis auf das übliche Gezicke“, so die Choreografin Thielebein.

Zur Vorbereitung besuchte die Gruppe die Niki de Saint Phalle-Pilgerstätte in Hannover (Sprengel Museum) und begutachtete Peter Schamonis Dokumentarfilm „Wer ist das Monster – Du oder ich?“ über das Leben der Künstlerin. Jede der Darstellerinnen griff daraufhin einen Aspekt aus der Biografie Saint Phalles heraus.

Das Stück beginnt mit einer Assoziation zu Nikis Kindheit: Ein bezopftes Mädchen spielt mit ihrer Barbiepuppe, tanzt Tango mit einem Drachen. Später wird es zur „Terroristin“: eine Art Lara Croft der Kunst, die „auf Papa, alle Männer, bedeutende Männer, dicke Männer, Männer, meinen Bruder, die Gesellschaft“ schießt.

Die 15-jährige Mareile Krietsch, jüngstes Mitglied der Gruppe, fand besonders spannend, wie die Künstlerin „mit sich selbst gerungen hat“. In einer eindrucksvollen Szene gibt Krietsch, ganz in Rot, den überschwänglichen, spielerisch-aggressiven Charakter. „Ich hab’ noch nie so frei getanzt“, stellt sie fest. Auch andere haben persönlich dazugelernt. Schülerin Fiona Weber-Steinhaus, 18 Jahre alt, meint, „das Rumschreien auf einer Probe hat Hemmungen abgebaut“.

„Es ist gar nicht so leicht, Wut zu spielen – besonders für Frauen“, weiß Renate Jonas. Aber es sei ja gerade der Reiz, auf der Bühne Grenzen des alltäglichen Lebens zu erfahren und zu überschreiten.

Zum Finale tanzen nicht nur zehn Frauen auf der Bühne, sondern auch zehn Lichtflecken an der Decke: Eine Spiegel-Installation wie in der zirkusbunten Welt der Niki de Saint Phalle.

Die Frauen haben an diesem Abend ihren Spaß gehabt. Und die Männer? Zuschauer Mehti Adalat ist „fasziniert“: „Solche feinen Gefühle können nur Frauen darstellen.“ Sybille Schmidt

Weitere Vorstellungen: 8. 9., 20 Uhr, im Bürgerhaus Hemelingen; 18. 9., 21 Uhr, im Kulturzentrum Lagerhaus. Am 7. Juli, 20 Uhr, zeigt die Mädchentheatergruppe des Schnürschuhtheaters ihr Stück „Nikis Enkeltöchter“.