„Hier wird nicht geklaut“

Jörg Braunsdorf

„Als Powell da war, war das Ministerium für zwei Tage komplett abgeriegelt. Für mich war dennoch klar, das Geschäft geht weiter. Wir holen die Wäsche, bringen die Schuhe zur Reparatur und öffnen den Buchladen“„Über 500 Meter war alles abgesperrt. Ich hab am Wasserwerfer einen Kaffee getrunken und mir gedacht: Mensch, das war früher immer anders. Früher standest du meistens auf der anderen Seite“

Mitten in Berlin, am Werderschen Markt, arbeiten zwei hessische Buchhändler im selben Haus, dem Bundesaußenministerium. Der eine, Joschka Fischer, hat das Geschäft mit den Büchern jedoch längst zugunsten der großen Politik an den Nagel gehängt. Der andere, Jörg Braunsdorf, hingegen leitet seit Oktober 2003 im Lichthof des Ministeriums nicht nur eine der jüngsten, sondern auch eine der sichersten Buchhandlungen der Stadt. Und so wie der Außenminister neue Wege in der Diplomatie austüftelt, versucht sich auch Braunsdorf an neuen Ideen. Er bietet nicht nur Bücher an, sondern pflegt zudem Anzüge und Schuhe

INTERVIEW UWE RADA

taz: Herr Braunsdorf, wir sitzen hier vor Ihrer Buchhandlung im Außenministerium. Hinter uns ist eine Sicherheitsschleuse. Müssen Sie da auch durch?

Jörg Braunsdorf: Durch die Sicherheitsschleuse muss ich nicht durch. Ich habe sogar eine Zugangsberechtigung für das ganze Haus. Ich komme sozusagen immer aus dem Keller. Von der Tiefgarage.

Aber Ihre Kunden müssen durch die Schleuse. Was sagen die denn dazu?

Die sind nicht begeistert. Die sind schon skeptisch und fragen sich, ob man in den Lichthof des Außenministeriums, der ja als öffentlicher Raum konzipiert ist, überhaupt reindarf. Die Absperrungen auf dem Gehweg, die Sicherheitsbeamten und die Schleuse wirken schon abschreckend.

Die Sicherheitsschleuse wurde seit den Anschlägen in Madrid am 11. März eingerichtet. Haben Sie denn mal bei Herrn Fischer nachgefragt, wann da wieder abgerüstet wird?

Nicht bei Herrn Fischer, aber ich wollte natürlich wissen, ob das vorübergehend ist oder eine Dauereinrichtung. Leider sieht es so aus, als ob es eine Dauereinrichtung werden wird. Ich muss also überlegen, wie ich damit umgehe. Als Existenzgründer bin ich schließlich darauf angewiesen, dass möglichst viele Leute hier reinkommen und die Möglichkeit haben, den Buchladen überhaupt wahrzunehmen. Vor diesem Hintergrund wird die Arbeit doch sehr erschwert.

Man könnte umgekehrt argumentieren, dass die Schleuse auch Langfinger abschreckt.

Das kann man wohl sagen. Hier wird nicht geklaut. Ich habe mit Sicherheit den sichersten Buchladen der Stadt. Ich habe Panzerglas vor den Türen, bin rund um die Uhr überwacht. Ganz beruhigend eigentlich.

Das heißt, Sie sind auch ein bisschen abgeschirmt vor der Welt …

… und stehe in der Auseinandersetzung mit denen, die hier arbeiten. Das gibt mir auch die Möglichkeit, jenseits des Mainstreams auf politische Literatur, auf gute Belletristik und Sachbücher zu setzen.

Und auf die anderen Bedürfnisse Ihrer Kundschaft. Ihr Geschäft heißt „Buch und Service“. Das heißt, Sie sind nicht nur Buchhändler, sondern auch Dienstleister. Was hat man sich darunter vorzustellen?

Man kann bei mir auch Blumen bestellen, Anzüge in die Reinigung bringen, Schuhe reparieren lassen.

Eine Mischung aus Buchhändler und Doorman.

Als ich mich im letzten Jahr auf die Ausschreibung für den Laden beworben habe, habe ich in der Brigitte einen Artikel mit dem Titel gelesen: Ich will endlich meinen Convenience Store. Das habe ich dann hier versucht. Natürlich mit dem Schwerpunkt auf die Kultur, das Buch, aber auch die Bereiche des kompletten Textilservice, der Schuhreparaturannahme, des Blumenservice und weitere Angebote, die ich noch im Hinterkopf habe. Wenn man mich damit als die gute Stube im Amt sieht, hätte ich nichts dagegen.

Auf welche weiteren Angebote des Jörg Braunsdorf dürfen sich die Ministerialen freuen?

Nachdem meine Homepage mittlerweile freigeschaltet ist, möchte ich versuchen, als Veranstaltungsagentur Inhalte anzubieten. Vor allem für die Mitarbeiter und ihre Familien im Haus. Wer neu in Berlin ist, das Haus, die Umgebung, die Stadt kennen lernen will, ist bei mir also an der richtigen Adresse. Ich bin neugierig, ob das Innenleben des Hauses stark genug ist, sich darauf einzulassen.

Wie ist es denn um dieses Innenleben bestellt? Ist es stark genug, sich auf Ihr Buchsortiment einzulassen?

Meine Kundschaft kommt zu achtzig Prozent aus dem Haus. Das unterscheidet sie aber nicht von einer Kundschaft, die man in einer normalen Geschäftslage hat. Soll heißen, der Staatssekretär kommt ebenso vorbei wie der Minister, die BGS-Beamten, der technische Dienst. Alle haben im Laufe der Zeit gemerkt, dass der Buchladen ein etwas anderer Raum ist, ein etwas lockerer Raum, dass man hier was finden kann, das man woanders nicht findet. Das betrifft eben auch die Serviceangebote.

Ein so ambitioniertes Sortiment wie bei Ihnen findet man aber nicht in jeder Geschäftslage.

Das hat natürlich mit den Mitarbeitern des Ministeriums und ihrer Arbeit zu tun. Ich habe zum Beispiel nach dem ersten halben Jahr gemerkt, dass bestimmte Titel, die in jeder anderen Buchhandlung vorhanden sein müssen, bei mir nicht gehen.

Dieter Bohlen, hoffen wir.

Der würde hier gar nicht reinkommen. Nein, auch gute Titel. Manche Bestseller aus der Belletristik müssen hier nicht auf Lager sein. Und wenn, dann kann man die von einem auf den anderen Tag bestellen. Stattdessen brauche ich ausgefallene Romane. Ich brauche Philosophie, ich brauche Kulturgeschichte, ich brauche das Sachbuch und teilweise auch das Fachbuch. In der letzten Woche hatte ich eine Veranstaltung, da kam eine Kollegin auf mich zu und sagte, Sie haben ja überhaupt keine Klassiker hier. Sie hatte Recht. Das habe ich dann auch gemerkt. Aber die haben mir bis jetzt noch nicht gefehlt.

Herr Braunsdorf, Sie sprachen bereits vom Minister. Ist Joschka Fischer ein Stammkunde?

Der Minister war bisher einmal bei mir.

Einmal nur. Liegt das daran, dass er auch über den Keller kommt und nicht vorne rein muss?

Ich glaube, das liegt auch an anderen Orten, an denen er gerne einkauft. Das eine Mal war bei der Eröffnung. Wir haben ein kurzes Gespräch gehabt, in dem ich ihn daran erinnert habe, dass wir vor etwa fünfzehn Jahren schon einmal eine Veranstaltung zusammen gemacht haben. Er konnte sich aber nicht mehr daran erinnern.

Vielleicht wollte er auch nicht. Worum ging es denn?

Um die Linke nach dem Sozialismus. Das war keine Parteiveranstaltung der Grünen, sondern eine Einladung, die wir als Buchhandlung an ihn als Autor ausgesprochen haben. Eine sehr lebendige Runde war das, weil er immer richtig warm wird, wenn das Publikum ihn provoziert. Und nun habe ich ihm gesagt, ich bin nun nach fünfzehn Jahren von Hessen nach Berlin gekommen, um der Buchhändler des Auswärtigen Amtes zu werden.

Sie sind Joschka Fischer nach Berlin gefolgt. Von Kollege zu Kollege.

Na, damals war er ja schon Minister. Was ich aber seitdem an ihm schätze, ist, dass er sehr gut zuhören kann. Wohl ein Talent, das Buchhändler auszeichnet.

Wer Buchhändler im Auswärtigen Amt ist, hat es ja auch mit Staatsbesuchen zu tun. Als der US-amerikanische Außenminister Colin Powell bei Joschka Fischer war, war das Ministerium weiträumig abgesperrt. Das ist ja, gelinde gesagt, geschäftsschädigend. Bekommen Sie da Schadenersatz?

Nein. Im Vertrag ist festgelegt, dass es an bestimmten Tagen und zu bestimmten Zeiten zu Einschränkungen kommen kann. Das muss ich in Kauf nehmen.

Wie läuft so ein Staatsbesuch aus der Sicht eines Buchhändlers ab?

Als Powell da war, war das Ministerium für zwei Tage komplett abgeriegelt. Da kamen nur die Mitarbeiter und die Teilnehmer der OECD-Antisemitismuskonferenz ins Haus. Das war’s.

Und Sie?

Die Sicherheitsabteilung des Hauses ist davon ausgegangen, dass wir an diesen Tagen schließen, und wollte Powell in der Ecke meines Buchladens präsentieren. Ich habe dann gesagt, das geht nicht in der Ecke, weil wir hier unsere Bücher stehen haben. Damit haben die nicht gerechnet. Die waren vollkommen baff. Aber der Lichthof war ja groß genug. Für mich war klar, das Geschäft geht weiter. Wir holen die Wäsche, bringen die Schuhe zur Reparatur und öffnen den Buchladen.

Der Buchhändler und die Sicherheitsleute. Geht das immer so gut zusammen?

Das geht gut zusammen. Natürlich war das etwas kurios bei der OECD-Konferenz. Über 500 Meter war alles abgesperrt, da standen Wasserwerfer, Räumpanzer. Ich hab am Wasserwerfer einen Kaffee getrunken und mir gedacht: Mensch, das war früher immer anders. Früher standest du meistens auf der anderen Seite. Heute erlebe ich den Ort mit seinen Auflagen, die er definiert, eher als entspannt. Auf der einen Seite sind die Anforderungen, die es einfach in einem Ministerium braucht. Auf der anderen ist der Lichthof als ein Raum, in dem es sehr unaufgeregt zugeht.

Hat man Ihnen denn die Tatsache, dass Sie früher mal auf der anderen Seite der Wasserwerfer standen, bei der Ausschreibung für dieses Geschäft unter die Nase gerieben? Oder nimmt man es damit, seitdem ein ehemaliger Straßenkämpfer Minister wurde, nicht mehr so ernst?

Nein, ich musste lediglich ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Aber das braucht man inzwischen ja fast schon überall.

Einmal wurden Sie hier nachts aber erwischt.

Beim Plakatieren sogar. Das war nach der Eröffnung am 25. Oktober letztes Jahr. Wir hatten damals die ersten literarischen Veranstaltungen. Vor dem Verlassen des Ministeriums habe ich ein paar Veranstaltungshinweise aufgehängt. Als ich dann in der Tiefgarage mein Auto suchte, habe ich mich heillos verlaufen. In der einen Hand hatte ich die Plakate, in der andern eine Kiste. So bin ich im Keller dem BGS begegnet.

Herr Braunsdorf, wie sind Sie zum Buchhändler geworden? Gehört das in Hessen einfach dazu?

Ich komme aus Wetzlar und habe dort 1980 schon während meinem Zivildienst nebenher in einem kollektiv geführten Buchladen gearbeitet. Wir waren 10 Leute in einer Kleinstadt, wo es darauf ankam, das richtige Publikum richtig anzusprechen. Da habe ich meine ersten Erfahrungen mit Zielgruppenarbeit gemacht. Die normalen Wetzlarer sind in unseren Buchladen nämlich nicht reingekommen.

Denken Sie manchmal: Ätsch, das habt ihr nun davon, heute bin ich im Zentrum der Macht.

Überhaupt nicht. Dass wir in Wetzlar im Laufe der Jahre immer schwerer Philosophie und politische Literatur verkaufen konnten, lag auch daran, dass es da keine Universität gibt. Deshalb bin ich 1994 auch weggegangen. Und nun bin ich hier und habe weltläufige Diplomaten zu Kunden.

Sie haben die Welt also nicht nur in Form von Bücher bei Ihnen, sondern auch in Gestalt Ihrer Kundschaft.

Es wird viel gelesen im Haus, es gibt ein Bedürfnis nach Inhalten. Bestimmte Globalisierungstitel, die sehr oberflächlich sind, brauche ich gar nicht ins Regal zu stellen.

Die Zielgruppenarbeit scheint Ihnen ja in Fleisch und Blut übergegangen zu sein. Was ist denn, wenn es in zwei Jahren einen Regierungswechsel gibt und Guido Westerwelle Außenminister wird? Kommt dann Stefan Raab in Ihre Regale?

Auf keinen Fall.

Infos: www.buchundservice.de