Fräulein Sternenstaubs Zauber

Die 17-jährige Maria Scharapowa gewinnt das Finale von Wimbledon, das vor Begeisterung über die junge Russin beinahe in Ohnmacht fällt. Die hat nach dem größten Triumph ihrer Karriere bereits neue Ziele: die Nummer eins der Tenniswelt werden

AUS WIMBLEDON DORIS HENKEL

Für alles schien Maria Scharapowa einen Plan zu haben. Der Auftritt mit dem großen Blumenstrauß auf der Bühne des Centre-Courts – wie hundertmal geübt; der Kniefall im Augenblick des Sieges – eine Pose voller Anmut, wie von Künstlerhand modelliert; die Geistesgegenwart, mit der sie einen Mann vom Ordnungsdienst fragt, als sie den Weg hinauf zum Vater auf die Tribüne nicht auf Anhieb fand; der Versuch, die Mutter in Florida noch auf dem Centre-Court per Handy zu erreichen, und beim ersten Interview nach dem Sieg eine Spontaneität, die Wimbledon vor Begeisterung fast in Ohnmacht fallen ließ.

Aber am meisten verblüffte die 17 Jahre alte Russin mit ihrer Autorität im Spiel. Mit einer eisenharten, sturen Kraft, die jeden Zweifel auszuschließen schien. Sie drängte Serena Williams, die auf diesem Platz letztmals vor 3 Jahren ein Spiel verloren hatte, in die Rolle der nervösen Debütantin, ließ die sonst so Mächtige langsam und verwundbar aussehen. 6:1, 6:4 in nur 73 Minuten. Wie oft Williams bei einem Grand-Slam-Turnier einen Satz 1:6 verloren hat? Ein einziges Mal, vor 6 Jahren beim allerersten Auftritt mit 16 in einem Spiel gegen die ältere Schwester. Aber eindrucksvoller als die Dominanz im ersten Satz war die Selbstverständlichkeit, mit der Scharapowa nach einem 2:4-Rückstand im zweiten weitermachte, als sei nichts geschehen.

Diese Selbstverständlichkeit in ganz jungen Jahren ist ein Zeichen der Champions. Das war so bei Steffi Graf, als die mit 17 bei den French Open in Paris gegen Navratilova den ersten Grand-Slam-Titel gewann, beim Sieg von Monica Seles an gleicher Stelle mit 16 und auch beim ersten Triumph von Martina Hingis mit 16 Jahren und vier Monaten 1997 in Australien. Ein knappes halbes Jahr später gewann die Schweizerin ihren ersten Titel in Wimbledon und damit bleibt sie trotz Scharapowa weiter die jüngste Siegerin der Championships in der modernen Zeit.

Auch Serena Williams schnappte sich den ersten Pokal bei den US Open ’99 mit 17, als sei ihr Name lange vorher graviert, so hat sie danach immer gespielt, und auch vor zwei Wochen meinte sie noch, sie könne sich eigentlich nur selbst schlagen dieser Tage. Seit Samstag weiß sie, dass das nicht stimmt, und obwohl sie von ihrer Bestform ein gutes Stück entfernt war, übertrieb sie, als sie meinte, das seien nicht mehr als 20 Prozent ihres Leistungsvermögens gewesen. Aber sie zeigte Größe in der Niederlage, gratulierte der Siegerin in einer Umarmung, wirkte später echt und ungeschminkt in ihren Interviews und gab sich keine Mühe, die Spuren ihrer Tränen zu verwischen.

Aber das alles verschwand hinter der ungeteilten Begeisterung über die neue Königin. Martina Navratilova, die die kleine Maria beim Vorspielen im Kindergartenalter in Moskau gesehen und – wie viele andere – für talentiert befunden hatte, sagt, sie sei nicht überrascht, wie schnell Scharapowa auf dem Gipfel gelandet sei. Glaubt man ihr, ist es an der Zeit, aus Dankbarkeit ein paar Kerzen anzuzünden. „Für das Frauentennis ist Marias Sieg großartig. Es ist das Beste, was uns passieren konnte.“ Eine „Supernova“, wie die Mail on Sunday schreibt, eine Offenbarung, ein Geschenk des Himmels, Fräulein Sternenstaub.

Es ist diese Mischung, die Maria Scharapowa so einzigartig macht. Die Härte sich selbst und dem Leben gegenüber, die aus der sibirischen Wildnis zu stammen scheint, in der sie die ersten beiden Jahre ihres Lebens verbrachte, dazu der südliche Charme der Menschen von der Schwarzmeerküste, wo sie in Sotschi lebte, bis sie sieben war, angereichert mit einer guten Portion routinierter Selbstdarstellung, die man in Florida lernt. Von klein auf hat sie immer nur um Punkte spielen wollen, gegen Ältere, Jüngere, Jungen und Mädchen, und dass sie irgendwann ihr Lieblingsturnier in Wimbledon gewinnen würde, war für sie nie die Frage. Sie sagt: „Dass es so schnell ging, hätte ich nie gedacht“, und das allein ist Aussage genug. Nachdem sie den größten aller Titel gewonnen hat, denkt sie an weitere und daran, möglichst bald die Nummer eins zu sein; zunächst mal ist sie die Acht, wenn die neue Weltrangliste erscheint.

Zu Maria Scharapowas besten Eigenschaften gehört, dass sie ein verdammt helles Köpfchen hat. Wie sehr sich ihr Leben nun wohl ändern wird? „Keine Ahnung“, sagt sie, „aber ich hoffe, dass ich als Person so bleibe, wie ich bin. Ich hab schon ein paar Leuten gesagt: ‚Wenn ich mich verändere, dann haut mir eine runter.‘“ Ach, Prinzessin Tausendschön, wer würde es wagen?