lost in lusitanien
: Der Star ist der Trainer

MATTI LIESKE über alte Bilder in der Stadt des Fußballs, gutmütige Altstars und die U 21-Mannschaft eines großen Turniers

In einem unscheinbaren Gebäude in der Rua da Palma befindet sich das „Fotografische Archiv“ Lissabons. Wie in diversen anderen Museen und Einrichtungen hat man sich während der EM auch hier des Fußballs angenommen. „A Cidade do Futbol“, Stadt des Fußballs, heißt die kleine Ausstellung, die vor allem Mannschaftsfotos der Klubs Benfica, Belenenses und Sporting vom Anfang des 20. Jahrhunderts zeigt. Eine kleine Extra-Ausstellung nennt sich „Die Tage von Winslow“ und zeigt den Alltag der portugiesischen Fußballer während der WM 1966. Zusammen mit den Journalisten ihres Landes wohnten sie in einem hübschen Landhaus in Winslow, einem Vorort von Manchester. Die Bilder zeigen sie in trauter Runde im Garten sitzend, beim Training oder beim Spaziergang durch das Örtchen, wo sie freundlich mit einer Lady plaudern, die in ihrem Vorgarten gerade dreiste Blätter zusammenfegt, die es gewagt hatten, sich von ihren Hecken zu lösen.

Den Mittelpunkt der Fotos bildet oft Eusébio, der große Star jenes Teams, das 1966 den dritten Platz belegte, und bis heute Portugals absolutes Fußball-Idol. Sein bronzenes Denkmal steht am Estádio da Luz. Die Erinnerung an seine Tore für Portugal und vor allem für Benfica ist kein bisschen verblasst, und im prächtigen Ozeanarium von Lissabon trägt sogar der kapriziöse Seeotter den stolzen Namen Eusébio.

Während der EM im eigenen Land war aber natürlich auch der echte Eusébio omnipräsent. Mal rannte er nach dem Elfmeterschießen gegen England völlig außer sich als Erster auf den Platz, mal posierte er brav für Fotos vor seinem eigenen, geringfügig schlankeren Denkmal, und in seiner Eigenschaft als Botschafter des Turnier-Sponsors Mastercard absolvierte er diverse öffentliche Auftritte. Nicht unbedingt die Sache des zurückhaltenden Eusébio, weshalb man ihm den eloquenten Jürgen Klinsmann an die Seite gestellt hatte. Gemeinsam zogen sie am Samstag Turnierbilanz, und während Eusébio immer wieder seiner Freude darüber Ausdruck verlieh, dass es Portugal ins Finale geschafft hatte, war Klinsmann für die inhaltlichen Analysen zuständig. Er präsentierte seine EM-Elf, gegen die wenig einzuwenden ist (Van der Sar, Seitaridis, Carvalho, Stam, Cole, Ronaldo, Zagorakis, Nedved, Figo, Baros, Rooney), zeigte sich beeindruckt vom hohen Tempo, mit dem meist gespielt wurde, und vom „Stempel“, der dem Turnier durch die Jugend aufgedrückt wurde. Die These von der besten EM aller Zeiten vermied Klinsmann allerdings.

Dafür schall diese einem sonst unaufhörlich entgegen, so als sei überall ein kleiner Samaranch versteckt, um den Leuten seine alte Floskel einzuflüstern, die sein Nachfolger als IOC-Präsident, Jacques Rogge, ja aus dem olympischen Programm gestrichen hat (das einzige übrigens, was er bis jetzt gestrichen hat).

Die Portugiesen sind natürlich begeistert über das allseitige Lob und heilfroh, dass sie alles so prächtig hinbekommen haben. Wunderbare Stadien, ein weitgehend friedfertiger Verlauf, spannende Spiele, prima Wetter, ein Überraschungsteam, nette Leute, selbst im Endspiel (nach Redaktionsschluss) – es gibt in der Tat wenig zu mäkeln an der EM 2004. Der Fußball allerdings war zum Beispiel 1984 in Frankreich oder 1988 in Deutschland spektakulärer und schöner.

Mit seinem rasenden Tempo ist das Spiel mal wieder drauf und dran, sich selbst zu ersticken. Die Trainer scheuen das Risiko, der Ball tanzt im Mittelfeld wie die Kugel in einem Flipperautomaten, viel zu selten werden die dichten Abwehrnetze überwunden, gefährliche Strafraumszenen gibt es kaum. Symptomatisch, dass es schwer fällt, den besten Torwart des Turniers zu bestimmen. Die Keeper hatten wenig Arbeit, ihre größte Herausforderung waren oft die Rückgaben der eigenen Leute, hervorgetan haben sich am ehesten die Elfmeterbezwinger wie Ricardo oder Van der Sar.

Symptomatisch auch, dass niemals zuvor so viel über die Trainer geredet wurde, welche die Zidanes, Beckhams und Raúls als wahre Stars abgelöst haben. Scolari und Rehhagel, nicht ihre Spieler, sind die Gewinner dieser EM, Trainer wie Santini, Advocaat, Trapattoni, Sáez, Olsen oder Brückner, die es nicht schafften, im entscheidenden Moment die richtige taktische Antwort zu finden, die Verlierer. „Gespielt wie die Deutschen“, warf Ex-Coach Aimée Jacquet im Spiegel-Interview Santinis Franzosen vor, mittlerweile eine der schlimmsten Beleidigungen, die der Weltfußball kennt.

Aber es war nicht nur die EM der Trainer, sondern auch die der Jugend. Die extreme körperliche Beanspruchung durch den Tempofußball lässt den Anteil der älteren, routinierten Spieler in den Teams sinken, das heißt, es werden Stellen frei. Kaum eine Mannschaft, die sich nicht im Laufe des Turniers verjüngte. Als Ergänzung zu Klinsmanns EM-Elf, die im Übrigen auch Eusébio komplett zufrieden stellte, hier also die U 21 der EM 2004: Im Tor, weil Russentrainer Jartsew seinen 18-jährigen Afanejew nicht einsetzte, der etwas überalterte Schwede Isaksson (22); hinten reicht, weil man natürlich gnadenlos offensiv spielt, eine Zweierkette mit Lahm (20) und Heitinga (20); im defensiven Mittelfeld sichert der Russe Ismailow (21) ab, davor verteilen der maßgeblich an der holländischen Steigerung gegen Deutschland beteiligte und dann von Advocaat absurderweise verschmähte Sneijder (20) und der Schwede Källström (21) die Bälle; der andere Schwede Wilhelmsson (21) saust den einen Flügel entlang, Portugals Ronaldo (19) dribbelt auf dem anderen, vorn wirbeln Robben (20), Rooney (18) und Cassano (21). Reserve: Afanejew (18), Postiga (21), Torres (20), Vonlanthen (18), Van der Vaart (21), Schweinsteiger (19). Und Podolski (19) darf mal kurz reinschnüffeln. MATTI LIESKE