Einseitige Schuldzuweisung

betr.: „Meschuggene unters Kopftuch“, taz vom 30. 6.04

Wie Sie kann ich mir die Auffassung, dass Israel eine Bedrohung für den Weltfrieden sei, nicht zu eigen machen. Israel ist lediglich eine Bedrohung für seine Nachbarn. Ein Apartheidstaat, der eine Reihe von Folterdiktaturen bedroht. Auch Ihre Wertung der Vergehen diverser Anhänger der von Ihnen speziell inkriminierten Religion teile ich voll und ganz. Der Fehler aber, den Sie begehen, liegt in der Unterstellung, eine Religion sei inhärent schlechter oder, um ein hippes Wort zu verwenden, böser als andere Religionen. Der Islam ist – wie alle anderen Religionen auch – ein System mit einer breiten Basis im Allgemeinen harmloser und einer kleinen Gruppe gefährlicher Menschen, die einer absurden Idee anhängen. Ob Ussama Bin Laden und al-Qaida, Ariel Scharon und seine Siedler oder George Bush und seine Bibelfaschos – alle sind dem ihrer jeweiligen Religion innewohnenden Totalitarismus verfallen und haben ihre moralische Urteilskraft dem Wahnsinn geopfert. Mich stört, wie Sie, Frau Roggenkamp, die Verbrechen einiger Vertreter einer Religion wieder und wieder thematisieren, die Verbrechen anderer im Kontext ihrer Beiträge relevanter Religionen aber komplett ausblenden. Es stört mich, aber ich werde Sie trotz meiner teilarabischen Physiognomie nicht bedrohen und mich auch nicht selbst in die Luft jagen. Das läge nicht in meiner Natur, verstehen Sie, Frau Roggenkamp? […]

Was ich allerdings verstehe, ist, dass Ihre einseitige Hetze gegen den Islam voll im Trend liegt – und eines muss man Ihnen zugestehen: Sie haben diesen Trend schon sehr früh vorweggenommen, lange bevor die Schavans und Schilys auf Ihren Zug aufgesprungen sind. TAREK AHMED, Köln

Frau Roggenkamp hat natürlich Recht, wenn sie darauf hinweist, dass die israelische Palästinapolitik von Islamisten zum Vorwand für die eigene kriminelle Idiotie genommen wird. […] Dass Israel eine Bedrohung für den Weltfrieden ist, kann aber doch wohl niemand ernsthaft bestreiten: Israel hält seit fast 40 Jahren fremdes Land besetzt. […] Was die „einzige Demokratie im Nahen Osten“ angeht: Die Palästinenser können sicher ihr eigenes Lied über diese Demokratie singen – mit ihren Kontrollpunkten, an denen sie stundenlang schikaniert werden, mit den willkürlichen Razzien, mit den Raketen-und Hubschrauberangriffen auf angebliche Terroristen, die oft genug auch Unschuldige töten, mit der Zerstörung palästinensischer Häuser, in denen angeblich Terroristen gewohnt haben, mit dem Wasserdiebstahl durch die Tiefbrunnen der „Siedler“, während Palästinenser kilometerweit zum nächsten Brunnen laufen müssen. […] Frau Roggenkamp gibt vor, eine abgeklärte und sachliche Position zu beziehen – in Wirklichkeit vertritt sie die Position Israels trotz aller Gemeinheiten, Ungerechtigkeiten und terroristischen Aktivitäten, mit denen dieser Staat die Palästinenser überzieht.

HERBERT OTTEN, Köln

Es ist wirklich unglaublich – und das habe ich schon selber gemerkt –, wie einem bei der Auseinandersetzung mit den isl. Fundamentalisten eine Angst beschleicht, bloß nicht aufzufallen. Wir Deutschen lernen grade mal nach 60 Jahren unsere Meinung zu sagen und sollen schon wieder schweigen und wegschauen? Als 41-Jähriger hoffe ich auf die 20-Jährigen, die unbelastet mit vielen Themen umgehen können und Klartext reden. ROBERT BORN, Hamburg

Wir Deutsche haben eine übertriebene Empfindlichkeit, was das Thema Antijudaismus angeht. Gerade das ist das Gefährliche. Ich sehe nur zu oft die Schere im Kopf: Besser nicht sagen, was man über die aktuelle Politik Israels denkt, gleich gar nicht dagegen demonstrieren, Bilder aus Palästina bitte nicht zeigen im deutschen Fernsehen, aus Rücksicht auf unsere jüdischen Mitbewohner. Diese aber sind durchaus kritikfähig gegenüber der Politik des Staates Israel. Also wieder die Schere im Kopf. Wer Israel sagt, meint die Juden – meinen israelische Politiker, auch Juden, die meisten. Dies ist ja gerade die offizielle Israelpolitik (die Identifikation des Staatese Israel mit dem Judentum) und entstammt nicht irgendwelchen „messuggenen“ Hirnen von Verschwörungstheoretikern oder islamistischen Muslimen.

Die Mehrheit der Muslime sind meiner Erfahrung nach friedliebend und fühlen sich einfach ständig denunziert und unrecht behandelt für den Terror der ganzen Welt, den der Großteil von ihnen überhaupt nicht befürwortet. Zu behaupten, „Meschuggene unters Kopftuch“, ist wie Öl ins Feuer zu schütten. Die westliche Welt versteht leider zu oft die Feinheiten der arabischen Kultur und Kommunikation nicht. Der Beitrag von Frau Roggenkamp ist unsachlich und verletzend. […] Jemanden, der nicht Ihren Glauben teilt, als meschuggenen zu bezeichnen, ist hoffnungslos ewiggestrig. Ich jedenfalls glaube an die Toleranz und Menschlichkeit, und mir ist für den Respekt verdammt noch mal egal, was für einen Glauben mein Gegenüber hat, ob er/sie Jude, Muslim, Christ oder sonst was ist. […]

B. JERBI, Edingen-Neckarhausen

Hut ab, Viola Roggenkamp! Israel die Schuld zu geben, ist wieder (mehr) in Mode gekommen. Gut, dass dies so deutlich ausgesprochen wird, denn es ist tatsächlich zu befürchten, dass die massive antijüdische Haltung der Islamisten bei den Europäern all diejenigen (von links bis rechts) bedient, bei denen der Judenhass im Hinterkopf herumspukt, die ihn aber aufgrund der jüngsten Geschichte nicht mehr wagten öffentlich zu bekunden.

Klar, niemand kann die israelische Politik gegenüber den Palästinensern gutheißen, aber mit einer einseitigen Schuldzuweisung ist der Sache ebenso wenig gedient. Dass darüber hinaus der Trend zum Islam(ismus) bei schwachen Persönlichkeiten Geführtwerdenwollen und die einfachste Klärung der Urschuldfrage zusammenbringt, ist aber nur die unschöne Begleiterscheinung eines Reflexes der europäischen Zivilgesellschaften auf die offensichtlichen Folgen jahrzehntelanger Defizite bei Einwanderungs- und Integrationspolitik. Die Zahl der Meschuggenen ist nämlich deutlich größer, als sich im Straßenbild an Kopftüchern oder 3er-BMW ablesen lässt. Sie umfasst alle, die unter Desorientierung und sozialer Not leiden und dies nicht individuell lösen können, sondern von einer Gesellschaft Hilfe bräuchten, die gerade erst begonnen hat sie als eigenen Bestandteil wahrzunehmen. OSWALD NEUBAUER, Stuttgart

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