Chemie-Tanker glücklich geborgen

Der im Hamburger Hafen gekenterte Frachter ist gehoben. Allerdings lief mit 500.000 Liter Schwefelsäure die gesamte ätzende Ladung aus. Umweltkatastrophe trotzdem nicht befürchtet. Der Kapitän hat – kein Einzelfall – ein Alkoholproblem

AUS HAMBURG ALEXANDER DIEHL

Am Samstagabend dürfte sich Werner Marnette das erste Mal in der vergangenen Woche entspannt haben. Seit letzten Montag hatte der Vorstandsvorsitzende der Norddeutschen Affinerie (NA), eine der bedeutendsten Kupferproduzentinnen Europas, ein Problem im Hamburger Hafen liegen: einen Gefahrguttanker im NA-Auftrag. Kieloben lag dieser im Elbwasser und verlor nach und nach seine Ladung – 500.000 Liter hochkonzentrierte Schwefelsäure. Am Samstag schafften es dann endlich zwei Schwimmkräne, den Unglückstanker aus dem Wasser zu ziehen und umzudrehen. Und anders als von vielen befürchtet, brach der 64 Meter lange Tanker nicht auseinander. Nun kommt er in die Werft.

Bei der Einfahrt in den Petroleumhafen in Hamburg-Waltershof war die „ENA 2“ am Montagabend vergangener Woche mit einem auslaufenden Containerfrachter kollidiert. Während der Containerriese ohne wesentlichen Schaden weiterfahren konnte, drang bei der „ENA 2“ Wasser in den Hohlraum zwischen Außenhülle und den vier Säuretanks, das Schiff drehte sich um und sank.

Anders als zunächst angenommen, ist dabei eine erhebliche Menge Schwefelsäure ausgelaufen: Am Donnerstag gingen NA und Feuerwehr noch davon aus, dass 250.000 Liter Säure, also die halbe Ladung, entwichen sind. Wie es erst hieß, konnte der ätzende Stoff durch geöffnete Belüftungsstutzen austreten. Doch wie sich nach der Bergung nun herausstellte, waren offenbar Luken von zwei Tanks nicht verschlossen gewesen. Ob die Luken infolge der Havarie oder aus anderen Gründen offen waren, war gestern noch immer unklar.

Durch die Säurevergiftung der Elbe dürfte es kurzzeitig zu einem erheblichen Abfall des pH-Werts in der unmittelbaren Umgebung des gekenterten Schiffs gekommen sein: Am Dienstag waren einige tausend tote Fische vorgefunden worden. Zwei Polizisten und einige Hafenarbeiter erlitten leichte Atemwegsverätzungen. Eine Gefährdung des Elbe-Hauptstroms, so NA und die Hamburger Umweltbehörde, habe jedoch nicht bestanden.

Die Bergung des Schiffs hatte sich immer wieder verzögert: Durch eindringendes Elbwasser war die an Bord verbliebene 98-prozentige Säure verdünnt worden und griff nun die Innenwände der Stahltanks an. Dadurch entstand in den Tanks ein potenziell explosives, wasserstoffhaltiges Gasgemisch, ein besonderes Hindernis für eine rasche Bergung. Bis zum Wochenende hatte es gedauert, einen für die Bergung nötigen zweiten Schwimmkran herbeizuschaffen.

Bereits am Abend der Kollision hatte sich herausgestellt, dass der Kapitän der „ENA 2“ zum Kollisionszeitpunkt 2,1 Promille Alkohol im Blut hatte. Die Tankerfahrt im Rausch sei kein Einzelfall, beklagen nun die Experten. Die Sanktionen seien zu mild. Für ein Fahrverbot muss tatsächlich erst ein Unfall passieren: Gegen den „ENA 2“-Lenker wird jetzt wegen Gefährdung des Schiffsverkehrs und wegen Gewässerverunreinigung ermittelt. Sein Kapitänspatent, hieß es gestern, wird ihm entzogen – voraussichtlich auf Lebenszeit.