Gesamtkunstwerk als Bühne

Große Retrospektive im Museum für Kunst und Gewerbe: Die Pop-Träume des Fotografen Gunter Sachs

Blaue Fotoserie wird stilecht durch mehrere Originale von Yves Klein geadelt

von HAJO SCHIFF

Des Lebenskünstlers Porträt in einer Farbserie von Andy Warhol dominiert den schwarz gehaltenen Raum, daneben eine ebensolche Siebdruckreihe seiner ehemaligen Frau Brigitte Bardot. Zum Sitzen bieten sich in diesem Nachbau der 1969 für Gunter Sachs gestalteten Wohnung Schafe des französischen Pop-Künstlers Francois-Xavier Lalanne an und Fetisch-Girl-Stühle von Allan Jones.

Das jetzt erstmals überhaupt öffentlich gezeigte Originalmaterial aus dem 1991 aufgegebenen Turmzimmer in St. Moritz gibt in der aktuellen Schau im Museum für Kunst und Gewerbe eine Ahnung von dem Gesamtkunstwerk, das dem einstigen Playboy als Bühne diente. Und diese Erweiterung der eigentlich geplanten Fotoausstellung durch zahlreiche Objekte bis hin zu seinem legendären Lieblingsmotorrad (die Mammut Nr. 1 von Friedel Münch) dürfte für viele auch interessanter sein, als die von Gunter Sachs selbst erstellten Frauenfotos, selbst wenn bei denen das Modell oft Claudia Schiffer ist.

Nur selten ist es möglich, so genau zu sehen, wie sich Artefakte von Art-Deco-Möbeln bis einer Badewanne von Roy Lichtenstein zum Design fügen und wie aus genuiner Kunst ein Lebensumfeld wird, das seinerseits wieder Folie für neue Bilder ist. Gunter Sachs war Ende der Sechziger Jahre als Kunstsammler absolut modern und hatte zum rechten Zeitpunkt die nötigen Geldmittel, mit der Kunst seiner Zeit zu leben, deren Marktwert allerdings auch noch keineswegs so hoch war wie heute. Postmodern aber wird er dann, wenn er diese Kunstwerke später zu Accessoires seiner eigenen um den nackten Frauenkörper kreisenden Bildproduktion macht. Wie Christian Diener, sein Freund und Kurator der Hamburger Schau es ausdrückt, ist Gunter Sachs „auf dem Gebiet der Erotik sehr interessiert“.

Dass das Ganze aber trotz schwarzer Wände und potenzversprechender Supermann-Abbilder im Schlafzimmer doch weniger eine Geschmacksverwirrung darstellt als einen Einblick gibt in einen besonderen, über eine Privatperson hinausgehenden Zeitgeschmack, liegt an dreierlei: Erstens kann der Multimillionär die ästhetische Anwendung einiger neuer Techniken für sich reklamieren: So schwatzte er dem Mirageproduzenten Marcel Dassault die Überlassung der für militärische Zwecke entworfenen Highspeed-Kameras ab. Die konnten etwa 10.000 Bilder pro Sekunde machen, was später den Beginn aller Superslowmotion-Szenen im Kino bedeutete. Zweitens kommen alle Erlöse aus der fotografischen Arbeit von Gunter Sachs zur Gänze über die Mirja-Sachs-Stiftung seiner Ehefrau einem wohltätigen Zweck zu. Was zudem unabhängig von persönlichen Stilvorlieben drittens wirklich zu faszinieren vermag, ist die Einheit von Genuss und Geschäft, von zusammengesammelten und selbst produzierten Vorstellungen zeitgemäßer Schönheit. Das macht dieses stets schnelle Leben ein wenig aristokratisch, fast renaissancemäßig. Nicht, weil Gunter Sachs seine Fotomodelle digital auch zur Mona Lisa oder zu Botticellis Venus macht, sondern weil er sich meist der Zustimmung seines Hofstaates sicher sein kann. Und er kann selbst für oberflächlichste Vergleiche sich wirkliche Originale leisten, wobei es ja nicht schadet, wenn man Maler wie Dalí und Künstler wie Arman zu seinen engeren Bekannten zählt: Verwendet Gunter Sachs blaue Farbe für eine Fotoserie, wird das durch gleich drei echte Arbeiten von Yves Klein geadelt, für verschwommene Horizontlinien steht ein Gemälde von Yves Tanguy von 1939, und neben dem Bild, das den Auftrittsmantel von Henry Maske bei seinem letzten Weltmeisterkampf 1996 zierte, hängt ein de Chirico von 1926. Diese erschreckend souveräne Umgangsweise mit gesicherten Vorbildern ist selbst vielleicht noch mehr Pop als die einen Raum weiter gezeigten, zu Klassikern geronnenen Auftragswerke der berühmten Pop-Artisten.

Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr, Museum für Kunst und Gewerbe; bis 21.9.; Katalog 58 Euro