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: Das gute alte LSD ist aus dem Alltag verschwunden. Warum eigentlich?

Grenzerfahrungen in der Ursuppe des Lebens

Inmitten dieser leeren Sommertage mit den falschen Verheißungen des Sommerschlussverkaufs erreicht uns eine überraschende Meldung: LSD wird 60. In den spärlichen Geburtstagsberichten wird darauf hingewiesen, dass die weltberühmte Droge schweizerischen Ursprungs so out ist, weil sie nicht mehr in unsere leistungsorientierte Gesellschaft passt. Denn diese verkommene Gesellschaft braucht Drogen, unter deren Einfluss die Konsumenten noch leistungsfähiger werden! Armes LSD.

Dabei könnte doch ein kontrollierter LSD-Konsum in unseren hektischen Zeiten zur Einkehr aufrufen und damit ähnlich wie Yoga den überanstrengten Menschen wieder fit für den Alltag machen. Das stundenlange versonnene Beobachten von Blattrückseiten, Weizenfeldstrukturen und Architekturwundern in Wolkenformationen ist doch Meditation für die wunde Seele des beschleunigten Menschen! Auch die immer gleichen Gesprächseinheiten der Tripesser können Sicherheit und Kontinuität geben: „Merkst du schon was? Bei mir geht’s schon voll ab …“ Es muss aber auch darauf hingewiesen werden, dass neben all den positiven Erscheinungen das Lysergsäurediäthylamid der Menschheit auch furchtbare Nebenwirkungen wie die psychedelische Kunst bescherte: verschobene Spiralen, endlose Molekülhimmelsleitern, hohlwangige Weltraumwesen an Sporenpflanzen. Über die literarische Verarbeitung der Grenzerfahrungen wollen wir lieber schweigen.

Heute ist das gute alte LSD ja fast ganz aus unserem Alltag verschwunden. Nur bei der Trendserie „GZSZ“ gedachte man der historischen Droge. Der Medizinstudent Ben experimentierte, verführt durch seine leichtlebige Technofreundin, bereits mit verschiedenen Substanzen. Bevor er aus der Serie verschwand, nahm er einen Trip und stürzte mit den Worten „Ich möchte in das Wasser des Lebens eintauchen und es aussaugen“ in einen Brandenburger See.

Vor allem die ältere Landjugend hat der Erfindung des so genannten Acidtrips viel zu verdanken. Jeder, der auf dem Land lebte, weiß, dass dort der Gebrauch von Kokain und anderen Amphetaminen reine Geldverschwendung bedeutet. Wohin mit der künstlichen Energie nach der Sperrstunde in der Dorfdisco? Immer an die Autobahnraststätte fahren und reden? Mit LSD brauchte man keine städtische Infrastruktur: Bei Sonnenaufgang mit dem Kassettenrecorder und den fast leeren Batterien auf die Felder, 80-mal das immer mehr leiernde „Dark Side of the Moon“ hören, da wird das Baden im Baggersee zur Entgrenzungserfahrung in der Ursuppe des Lebens.

Aber zurück zur Gegenwart: Wenn eine Droge geht in Rente, ist es dann nicht Zeit für eine neue Droge? Schließlich ist auf diesem Feld schon lange nichts mehr Vernünftiges erfunden worden. Vielleicht ist es mit den Drogen so wie mit Musikstilen und Jugendkulturen, die letzten Neuerungen wie Techno oder Grunge liegen Jahrzehnte zurück, und ein langweiliges Retrophänomen folgt dem anderen.

Wir brauchen eine neue städtische Droge. Aber wie soll sie aussehen? Wichtig ist, dass man sie auf eine geheimnisvolle Art einnehmen kann, vielleicht durch seltsame Körperöffnungen oder mit Hilfe von bizarren Werkzeugen. Nachwirkungen müssen natürlich sein, keine Rosen ohne Dornen, aber sie sollten sich in Grenzen halten. Wichtig ist auch ein gesundes Preis-Leistungs-Verhältnis. Die neue Droge muss natürlich illegal, aber relativ leicht verfügbar sein. Statt über veraltete Designerdrogen könnte man mal über Handwerkerdrogen nachdenken, sie könnten zum Beispiel nach dem Baukastensystem funktionieren. Es gibt viel zu tun. CHRISTIANE RÖSINGER