„Der schwule Bär ist toll“

James Dale, bekannter US-Homosexuellen-Aktivist, weilt zu Besuch in Deutschland. Ein Gespräch über die Schwulenfreundlichkeit des Herrn Bush und die Frage, wo in Berlin der Mainstream steht

Interview ULF LIPPITZ

taz: Was bedeutet das Juni-Urteil des Obersten Gerichtshofes, nach dem Homosexualität nicht mehr illegal ist, für Sie?

James Dale: Tief drin in mir fühlt es sich großartig an. Denken Sie nur, ein konservativer Gerichtshof – ernannt größtenteils von Republikanern – sagt: Wir können Homosexuellsein nicht mehr als illegalen Tatbestand behandeln. Es zeigt, wie weit Amerika inzwischen gekommen ist. Aber es zeigt auch, wie weit wir noch gehen müssen. Das Urteil regelt nur die Legalisierung von Sex. Immerhin schon mal: Der Dialog ist jetzt auf ein neues Niveau gehoben.

Hat es Einflüsse auf Ihr persönliches Leben?

Ich lebe seit zwölf Jahren in New York City. Dort war Sex zwischen zwei Männern zwar nicht illegal, trotzdem hat das Urteil mentale Auswirkungen. Man fühlt sich jetzt anerkannter, akzeptierter. Es geht letztlich auch um amerikanische Werte wie Gleichheit und Fragen der Moral.

In welchem Kontext sehen Sie das Urteil?

Dass man nun über Gay Values, schwul-lesbische Werte, redet, dass man die Diskussion um Bürgerrechte weiterführt – das geschieht im Rahmen eines gesellschaftlichen Diskurses um Schwule im Militär, um Heirat für Schwule und Lesben. Eine Fernsehserie wie „Ellen“ hat damit viel zu tun. Ellen De Geneeris hatte als erste Lesbe im Fernsehen ihr Coming-Out. Was war das 1997 für eine Aufregung! Dann kam die Sitcom „Will and Grace“. Schwule Politik stand im Rampenlicht der Unterhaltungsindustrie. So etwas schafft ein neues Amerika.

Ihr Fall wurde zehn Jahre lang verhandelt und in der Clinton-Ära am Supreme Court abgewiesen. Am selben Ort entscheidet man nun zugunsten Homosexueller. Ist die Regierung Bush etwa Pro-Gay?

Nein, aber Bush will nicht als Anti-Gay wahrgenommen werden. Dick Cheney kommt sicherlich nicht in den Verdacht, „Mr. Fortschritt“ zu sein. Aber bei der Debatte der Kandidaten für den Vizepräsidenten im Wahlkampf 2000 war es Cheney, dessen Tochter bekanntlich lesbisch ist, der im Gegensatz zu den Demokraten sagte, wir müssen gleichgeschlechtliche Beziehungen respektieren.

Wie kommt es zu diesem Wandel?

Wir haben in den USA die so genannten Soccer Mums – das sind Frauen, die in einem Vorort leben und ihre Kinder brav zum Fußballtraining fahren. Sie gehören zu den wichtigen Swing Votes. Mit Sicherheit gucken sie sich nicht die Schwulenparaden an und verstehen nicht alle Fragen der Gleichberechtigung, aber sie kapieren, wenn ihre Tochter Suzie ihre lesbische Beziehung leben möchte. Schwule sind nicht mehr die Sündenböcke der Nation.

Ist nun alles erreicht?

Nein, die Gay Rights Community schießt sich manchmal zu sehr auf die Schlag-mich-nicht-tot-Fälle ein. Die wahren Früchte hängen höher. Die Pfadfinder herauszufordern, klingt einfach – aber vergessen Sie nicht, sie sind eine amerikanische Institution. Man kämpft für hundert Prozent, bekommt am Ende fünfzig, und ist trotzdem einen Schritt weiter. Dass wir heute eine Debatte um homosexuelle Ehen führen, wäre vor zehn Jahren undenkbar gewesen.

Ist die Ehe fortschrittlich?

Ja, sie bedeutet die absolute Gleichstellung mit allen anderen Amerikanern. Sie ist das Fundament der Gesellschaft. Sie ist sicher nicht perfekt, aber ein wichtiges Symbol, um das wir kämpfen müssen. Sehen Sie, der Realist in mir sagt: Man muss nicht heiraten, nur weil man das Recht hat – aber wir haben noch nicht das Recht.

Was hat Sie zu einem Besuch in Berlin veranlasst?

Durch die Berliniamsburgh-Partys in Brooklyn wird ein sehr trendiges Bild von Berlin kolportiert: künstlerisch, jung, im Wandel begriffen. Man erzählt sich von unglaublich billigen Mieten. Die Energie erinnert mich an New York vor zehn Jahren, bevor der Kapitalismus alles von der 42. Straße bis zum Gay Ghetto geschluckt hat.

Wird das Bild Berlins in New York also mythologisiert? Beispielsweise durch Filme wie „Taxi zum Klo“ oder „Hedwig“?

Nein. Ich habe „Hedwig“ nur als Theaterstück gesehen. Wenn überhaupt, dann war „Cabaret“ ein großer Einfluss auf mein Bild von Berlin – einem zugegeben alten Berlin.

Und wie ist Ihr persönlicher Eindruck von Berlin?

Die Berliner Straßenkunst ist toll. Ich habe Graffiti in New York schon seit einem Jahrezehnt nicht mehr gesehen – und ich vermisse es. Mir gefallen die schwulen Friedensflaggen überall und der schwule Bär vor dem riesigen Schwulen-Porno-Buchladen am Nollendorfplatz. Als ich ausging, wurde ich diesem schüchternen Jungen vorgestellt, der immer alleine in der Ecke stand: Maximilian Hecker. Jemand gab mir sein Album. Wunderschön. Ist er am Ende wie Berlin: Eingeschüchtert vom Erfolg, sich seiner Schönheit nicht bewusst und kurz davor, ganz groß zu werden? Berlin scheint mir eine furchtbar einsame und unterbevölkerte Stadt zu sein.

Ist Berlin in den Staaten nicht auch berühmt-berüchtigt für seinen schwulen Underground?

Ja, aber ich kann das nicht bestätigen. Der riesige Schwulenladen mit dem Regenbogenbären am Eingang killt für mich jede Form von Subversion. Mit einem schwulen Bürgermeister ist man auch ziemlich im Mainstream angekommen, oder? Ich finde es für eine aufstrebende Stadt schockierend, wie wenig Transsexuelle es hier gibt. Außerdem habe ich in all den Tagen in Berlin nur zwei Schwarze gesehen.