wir lassen lesen
: Der Elfer aus gut 10,96 Meter

Von der Strafstoßmarke

Gut, beschäftigen wir uns also aus gegebenem Anlass mit dem 11-Meter, den Autor René Martens (11 Buchstaben) in 11 Kapiteln auf 111 Seiten für 11,11 Euro beschrieben hat – 111 Jahre nach Erfindung des Strafstoßes. Ist der Elfmeter, den Pelé einst „eine feige Art, ein Tor zu schießen“ genannt hat, soviel Aufmerksamkeit wert? Antwort: Unbedingt! Auch auf die Gefahr hin, dass dieses Buch Auftakt sein könnte für eine Lexikonreihe der Standardsituationen. Etwa: Der indirekte Freistoß. Oder: Die Ecke (Band 1: von links, Band 2: von rechts). Das Buch ist kein Muss, aber ein glasklares, schwalbenfreies Sollteunbedingtschon.

Allein wegen der statistischen Auswertung der Bundesliga. Wer die meisten Elfer verwandelte? Manfred Kaltz: 53 (von 60). Die beste Quote hatte – das überrascht – Rainer Bonhof mit 20 von 21. Drei in einem Spiel hat schon mal einer verwandelt (Stuttgarts Nussöhr), aber noch kein Keeper gehalten. Tritt der Gefoulte an, hat er gegen den falschen Branchenmythos und den steten Glauben Heribert Faßbenders eine bessere Quote als andere. Linienpfiffikus Nr. 1 ist bis heute Rudi Kargus: 23 Stück hielt er.

Das anekdotenpralle Werk über den ominösen Punkt ist reich an historischen Kuriositäten; etwa von jenem Schiedsrichter, der bei der WM 1930 mit Giraffenschritten 17 Meter Entfernung festlegte (immerhin zum richtigen Tor), oder von der traurigen Gestalt, deren Elfer vor der Linie zum Liegen kam. Die schönsten Versagernamen? Kutzop an den Pfosten, Matthäus im Pokalfinale, Hoeneß in den Belgrader Nachthimmel, Roberto Baggio im WM-Finale. Dazu die kleine Kulturgeschichte des gezielten Betrugs in den Strafräumen der Welt: das Kapitel über die Schwalbenmeister heißt „Hölzenbeins Söhne“.

Und wie geht das nun genau? Der Ball „wird auf die Strafstoßmarke gelegt“, sagen die Regelhüter des DFB. Der Schütze heißt „ausführender Spieler“ und muss „klar identifiziert sein“. Der Torwart hat sich „auf seiner Torlinie aufzuhalten“ und zwar „mit Blick zum Schützen“. Übrigens, den Elfmeter gibt es in den Fußballregeln gar nicht, dort heißt er „Schuss von der Strafstoßmarke“.

Solch ein Elfmeter braucht auch keine elf Meter. 10,968 Meter reichen, denn die Erfinder haben den Penalty auf 12 Yards Entfernung festgelegt. Das bedeutet, Kontinentaleuropäer haben es schwerer. Engländer scheitern vielleicht wegen der ungewohnten Entfernung so gern bei internationalen Spielen, vor allem gegen uns Krauts (Southgate, Waddle).

Grotesk schön, was Martens über der Kicker Erfolgsrezepte gesammelt hat – wie geht er am sichersten rein: Vollspann à la Neeskens? Mit exzentrischen Techniken oder mit putzigen? Mit Aberglaubensbekenntnissen? Ohne jeden Gedanken? Mit der Held-Emmerich’schen indirekten Variante (die heute leider nicht mehr erlaubt ist) oder tschechoslowakisch hintertrieben à la Panenka, der nach seinem dreisten Zeitlupenlupfer gegen Sepp Maier 1976 sagte: „Wenn Maier einfach stehen geblieben wäre, hätte ich wahrscheinlich die folgenden 25 Jahre als Fabrikarbeiter verbringen müssen. Die Kommunisten hätten mich beschuldigt, ihr System lächerlich zu machen.“

Oder wie halt ich ihn? Stehenbleiben, abwarten, Ecke aussuchen, dem Schützen in die Augen gucken oder auf den Fuß? Gladbachs Uwe Kamps hatte im Pokalhalbfinale 1992 gegen Leverkusen vier Stück gehalten, durfte aber zum fünften nicht mehr ran, weil seine Mitspieler gemeinerweise schon zweimal getroffen hatten.

Und wer hat in der Bundesliga die meisten Elfmeter verschossen? Gerd Müller. Ein volles Dutzend. Und noch eine Bestmarke hält der Exbomber: 1978 verwandelte er in einem Pokalspiel gegen Osnabrück drei Stück. Zu wenig – die Bayern verloren 4:5. Ein anderer Bayer verlor übrigens 24 Jahre später ein anderes wichtiges Finale. „Die schönsten Endspiele sind die, die im Elfmeterschießen entschieden werden“, befand Jürgen Trittin nach der langen Bundestagswahlnacht.

BERND MÜLLENDER

René Martens: „Elfmeter! Kleine Geschichte einer Standardsituation“. Eichborn, 111 Seiten; 11,11 €