Megawatis Uhr läuft ab

Der Favorit wirkt souverän, die bisherige Präsidentin linkisch . . .. . . er verkörpert Glaubwürdigkeit, sie hat ihren Kredit verspielt

AUS JAKARTA NICOLA GLASS

Vergnügt verspeist Jusuf den Rest seiner Ananas. Unter der schmuddligen Baseballkappe zeichnet sich ein breites Grinsen ab. Den Grund für seine gute Laune verrät der Indonesier sofort: Toll sei er gewesen, der Susilo Bambang Yudhoyono. „Der versteht die kleinen Leute und hat versprochen, etwas für uns zu tun, wir glauben an ihn!“, sagt der Mittdreißiger. Und zeigt auf sein mit Fruchtsaft verschmiertes T-Shirt, auf dem das lächelnde Konterfei seines Lieblingspolitikers prangt. Jusuf steht mit seiner Meinung nicht allein: Rund 70.000 Anhänger sind an jenem Sonntagmittag ins Fußballstadion von Zentraljakarta gekommen, um den Favoriten für Indonesiens Präsidentenwahl zu feiern.

Die meisten sind mit altersschwachen Bussen gekommen, die so aussehen, als ob sie nur noch von den Wahltransparenten zusammengehalten werden. Und jetzt die Straßen rund ums Stadion verstopfen: Chaos, Hupen, Stau. Seit Wochen führt der ehemalige Vier-Sterne-General Yudhoyono die Umfragen an: Laut der „International Foundation for Election Systems“ (IFES) könnte er 43,5 Prozent der Stimmen erhalten. Damit liegt er weit vor seinen Konkurrenten: der jetzigen Amtsinhaberin Megawati Sukarnoputri, Exgeneral Wiranto, dem Megawati-Kritiker und Chef der „Nationalen Mandats-Partei“ Amien Rais sowie Vizepräsident Hamzah Haz von der muslimischen PPP.

Yudhoyonos volles Gesicht mit den großen Augen und dem sorgfältig frisierten Seitenscheitel ist allgegenwärtig: Es strahlt in Fernsehinterviews, von Plakaten und Transparenten. Die Beliebtheit des zupackenden Exgenerals ist ständig gewachsen, seit er, ehemals Sicherheitsminister in Megawatis Kabinett, im März zurücktrat. Er verkörpere das Image des ruhigen Führers, sei kompetent, um gegen Korruption und Arbeitslosigkeit vorzugehen. Das sagen jedenfalls die, die an ihn und seine Versprechen glauben. Schwitzend steht der 54-Jährige in der Mittagshitze: Singt und schwatzt mit seinen Anhängern, sucht den Kontakt zum Volk. Viele Augen glänzen, wenn „SBY“ vorbeigeht. Die Indonesier gieren förmlich nach einem Präsidenten, der das Inselreich aus Wirtschaftskrise, Korruption und einem international angeschlagenen Image herausführt. In Yudhoyono meinen sie den Garanten für Stabilität gefunden zu haben.

„SBY“ ist all das, was die derzeitige Präsidentin „Mega“ nicht ist: Er gilt als staatsmännisch und souverän, sie als linkisch und entscheidungsunwillig. Er spricht die Sprache der gewöhnlichen Indonesier, sie findet zu den Armen keinen Zugang. Er verkörpert Glaubwürdigkeit, sie hat ihren Kredit verspielt. „Königin des Schweigens“ oder „Die Sphinx“ wird „Mega“ mittlerweile wenig schmeichelhaft genannt.

Dabei galt sie einst, nach dem Sturz des damaligen Diktators Suharto 1998, als Frontfrau der Reformbewegung. Megawati Sukarnoputri ging erst spät in die Politik, ins Parlament wurde sie Ende der 80er-Jahre gewählt. Den Weg hat ihr vor allem ihr Name geebnet: Sie wurde als Politikerin populär, weil sie die Tochter des legendären Staatsgründers Sukarno ist. Diese Beliebtheit ist verpufft. Viele Indonesier kreiden ihr das Scheitern von Reformen und die unbewältigte Wirtschaftskrise an. Die Korruption wuchert weiter und die Preise sind gestiegen. Das ärgert vor allem die kleinen Leute.

Öffentliche Auftritte hasst Megawati wie die Pest. Doch im Wahlkampf musste sich die 57-Jährige wohl oder übel präsentieren. Was sie wie eine Puppe tut: Wie unbeteiligt, mit sparsamer Mimik und Gestik, steht sie auf Tribünen und spricht ins Mikrofon – abgehackt und gepresst. Wie neulich, vier Tage vor der Wahl. Die Live-Übertragung hat die Allgemeine Wahlkommission KPU organisiert. „Mega“ erscheint in Rot- und Beigetönen, was sie auf der Mattscheibe noch blasser erscheinen lässt. Hölzern liest sie ihre Wahlversprechen von einem Blatt Papier ab: Rund 13 Millionen neue Jobs in den nächsten fünf Jahren, Bekämpfung der Armut. Sie bleibt vage und überlässt es ihrem Vizepräsidentschaftskandidaten Hasyim Muzadi, Nachfragen aus dem Publikum zu beantworten.

„Dieser Auftritt hat ihr definitiv nicht geholfen“, meint der politische Analyst Sjahirir. „Kann man sich so etwas vorstellen? Da kandidiert sie für ein Amt und kann nicht einmal drei Minuten frei sprechen? Sie hat keine Chance!“ Auch viele Besucher der TV-Veranstaltung sind irritiert. Als ob sie den Job gar nicht mehr wolle, raunt man. „Ich werde sie trotzdem wählen!“, sagt eine Indonesierin energisch, die den steif-stammelnden TV-Auftritt aufmerksam verfolgt hat. Sie erinnert sich nämlich noch gut an die Ära Suharto, der Milliarden von US-Dollar beiseite schaffte, Kritiker gnadenlos verfolgen ließ und das Land knebelte.

Megawatis Stern ist derzeit so weit gesunken, dass sie sogar hinter ihrem Rivalen Wiranto rangiert: Dieser käme laut jüngster Umfragen auf 14,2 Prozent, die Präsidentin hingegen nur auf 11,7 Prozent. Für seine Anhänger ist Wiranto, Exgeneral wie sein Konkurrent Yudhoyono, ein Nationalheld. „Der wird es machen“, versichert ein indonesischer Investmentbanker. „Ich glaube, dass Yudhoyono bloß eine Seifenblase und seine Popularität nur vorübergehend ist.“ Kritikern aber, allen voran Menschenrechtsgruppen, ist Exgeneral Wiranto, ehemals Chef der indonesischen Streitkräfte, ein Dorn im Auge. Denn der Kandidat von Golkar, der früheren Suharto-Partei, ist international wegen Kriegsverbrechen im ehemals von Indonesien besetzten und seit zwei Jahren unabhängigen Osttimor angeklagt.

Den als charismatisch geltenden Wiranto ficht das alles nicht an: Vor einem indonesischen Menschenrechtstribunal hat er alle Anschuldigungen von sich gewiesen und die blutige Gewalt während des Unabhängigkeitsreferendums 1999 als innertimoresische Angelegenheit abgetan. Längst ist der alte Kämpe aus dem aktiven Militärdienst entlassen. Er sucht Zugang zu den Wählerherzen, indem er sich nicht nur als Hardliner, sondern auch romantisch verklärt gibt: Schlagzeilen machen seine Liebeslieder über das „wunderschöne Indonesien“ ebenso wie seine markigen Wahlwerbespots. Die Faust erhoben, verspricht er, mit den Problemen „aufzuräumen“. Als „starker Mann“ schürt er zugleich die nostalgischen Gefühle vieler Indonesier, die Golkar bei den Parlamentswahlen im April den Wahlsieg beschert haben. Die auf der Mattscheibe eingeblendeten Bilder aus seiner militärischen Vergangenheit haben Kalkül. Vor allem ein Ausschnitt wird den Indonesiern eingetrichtert: Wiranto in der Uniform des Oberbefehlshabers, hinter dem die rangniedrigeren Offiziere stehen. Einer davon ist Yudhoyono.

Bizarrerweise hat gerade dieser Umstand zur Beliebtheit des politischen Shootingstars Yudhoyono beigetragen. Die Tatsache, dass er militärisch buchstäblich immer nur in der zweiten Reihe stand, verlieh ihm im Wahlkampf das Image des „Saubermanns“.

Allerdings ist unklar, welche Rolle das Militär unter seiner Regierung spielen würde. Nach dem Sturz Suhartos hatten die Streitkräfte formal ihre Macht verloren. Ihr innenpolitischer Einfluss hinter den Kulissen blieb aber unangetastet. Er liebe Demokratie, ließ Yudhoyono verlauten. Aber eine starke Führung sei ebenso unerlässlich. Was das für die Zukunft heißt, weiß momentan keiner so genau. „Keiner ist wählbar, es wird sich sowieso nichts ändern in unserem Land“, davon sind die Geschäftsfrauen Jenny und Rina überzeugt. Und deshalb werden sie heute auch gar nicht zur Wahl gehen.

Obwohl als Favorit in den Umfragen hoch gehandelt, ist nicht abzusehen, ob Yudhoyono direkt nach den heutigen Wahlen in den Präsidentenpalast einziehen kann. Laut Umfragen gelten rund 20 Prozent der Wähler als unentschlossen. Für einen Sieg müsste er mindestens 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Ansonsten kommt es im September zur Stichwahl zwischen dem Erst- und Zweitplatzierten. Und in zweiter Position wären wohl entweder Megawati oder Wiranto. Der wurde einmal mit den Worten zitiert: „Ein alter Soldat hört niemals auf zu kämpfen!“ Indessen sucht die derzeitige Amtsinhaberin Megawati ihren Popularitätsschwund schönzureden und sich auf ihre Weise in die Wählerherzen zu katapultieren. Das Volk, ließ sie im Wahlkampf wissen, solle seine Stimme einfach „der hübschesten Kandidatin“ geben.