WATCHING OBAMA (1): ROBERT HABECK SCHREIBT FÜR DIE TAZ NORD EIN TAGEBUCH AUS WASHINGTON: Tom daschelt Obama
In den Fenstern der Washingtoner Straßen verbleichen die „Change now“-Plakate langsam. Nachdem Obamas designierter Finanzminister Tim Geithner 43.000 Dollar Sozialabgaben nachzahlen musste, ist nun mit Tom Daschle der zweite potentielle Minister zurückgetreten, weil er über drei Jahre den geldwerten Vorteil seines Dienstwagens nicht gemeldet hat.
Schon frotzelt der Republikaner Eric Cantor, dass es leicht für Demokraten sei, höhere Steuern zu fordern, wenn sie selbst keine zahlten. Aber die Frage, ob Daschle wissentlich Sozialabgaben hinterzog oder unwissentlich, ist im Grunde zweitrangig. Wichtiger ist, dass durch den Blick auf Daschles Finanzen öffentlich wurde, dass er über viele Jahre lukrative Vorträge bei Pharma- und privaten Krankenversicherungsgesellschaften hatte – insgesamt 5,4 Millionen Dollar hat er damit verdient. Verteidigungsminister bleibt der Bush-Mann Robert Gates, sein Stellvertreter im Pentagon ist der Waffenlobbyist William J. Lynn. Eine Hand voll ehemaliger Lobbyisten arbeitet in der zweiten Reihe. Gemessen an der Zahl der neuen Gesichter im Kabinett und der tausenden im Regierungsapparat ist das eine kleine Minderheit. Aber gemessen an Obamas Versprechen, eine neue „Ära des Vertrauens“ einzuleiten und den Lobbyismus und die Vetternwirtschaft in Washington zurückzudrängen, ist es vielleicht schon zu viel.
Obamas Kampagne und seine Inaugurationsrede waren geprägt von einem hohen moralischen Ton, dem Ethos des Neuanfangs. Und jetzt zeigt sich, dass das tägliche Regierungshandeln einen Kompromiss nach dem nächsten erfordert. Obama hat die strengsten moralischen Regeln für sich und sein Kabinett angelegt. Und jetzt zeigt sich, dass er Ausnahmen machen muss. Obama steht für einen Politikwechsel, für einen neuen Stil und für eine neue Glaubwürdigkeit. Gerade weil die Enttäuschung auf einem höheren Niveau stattfinden wird als bei allen anderen Regierungen, ist die Gefahr so groß, dass der Verdruss umso stärker sein wird. Dass Bush unmoralisch war, das wusste man vorher. So gesehen konnte er niemanden enttäuschen – höchstens schlimme Erwartungen noch übertreffen. Obama aber kann an seinen eigenen Maßstäben scheitern. Das scheint ungerecht. Aber es ist im Kern seines Handelns angelegt.
Denn Obamas Kampagne war von Anfang an zwischen zwei widerstreitenden Aussagen aufgespannt. Die eine lautete: „Ich mache alle anders, ich fange neu an.“ Die andere war: „Wir gehören zusammen. Wir wollen eine neue Kultur des Miteinanders.“ Geeint wurden sie durch das Charisma und die offensichtliche Lauterkeit Obamas. Ihm traute man zu, Widersprüche zu versöhnen. Und Versöhnen bedeutet, andere zum Nachgeben, zum Nachdenken zum Einlenken zu überreden. Wenn sie das aber nicht tun, dann bricht das Modell Obama zusammen.
Wenn das eintreten sollte, wird Obama sich entscheiden müssen, welche Linie er aufgibt, den Neuanfang oder die Große Koalition mit den Republikanern und Eliten der Demokraten. Die Frage dahinter ist aber viel grundsätzlicher: Soll ein Politiker auf hohe moralische Standards verzichten – nicht weil er weiß, dass er sie nicht erfüllen kann, sondern weil er weiß, dass er zu ihrer Erfüllung auf das Wohlverhalten anderer angewiesen ist?
Robert Habeck schreibt auch für die Heinrich-Böll-Stiftuing auf www.boell.de.
Fotohinweis:ROBERT HABECK, 39, ist Schriftsteller und Parteichef der Grünen in Schleswig-Holstein. Derzeit besucht er Washington auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung. FOTO: DPA
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