Ein Verein für das Vakuum

Die Schröder‘sche Politik lässt links viel Raum. Den will die „Wahlalternative“ füllen – und nutzt dazu geschickt die beginnenden Parlamentsferien

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Die Gründer der neuen deutschen Arbeiterbewegung haben ein Problem: Kein Mensch kennt sie. Es sind kleine Gewerkschaftsfunktionäre, SPD-Mitglieder und solche, die es einmal waren. Dazugestoßen sind ein paar PDSler, Professoren und angeblich sind auch Leute in der Runde, die aus der FDP entfleucht sind. Aber Prominente? Fehlanzeige. Auch der Name, auf den sich die unbekannten Aktivisten geeinigt haben, klingt noch ziemlich sperrig: „Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit“. Trotzdem ist der Saal voll, als der Verein an diesem Sonntag die erste Pressekonferenz in seiner Geschichte gibt.

Die Gründer der neuen Arbeiterbewegung haben einen Vorteil: Das Timing ist perfekt. Seit Tagen tobt ein Streit zwischen der SPD und den Gewerkschaften, denen die ganze Richtung der Schröder’schen Reformen stinkt. Nach der gerade beschlossenen Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe, genannt Hartz IV, erst recht. Ver.di-Chef Frank Bsirske warf Kanzler Schröder vor, „versagt“ zu haben, was der nicht lange auf sich sitzen ließ. Die Gewerkschaften sollten sich überlegen, ließ Schröder wissen, ob sie ihre Strategie von Leuten „wie Herrn Bsirske“ bestimmen lassen wollen, die „inhaltlich nichts anzubieten“ hätten. Heute trifft sich der SPD-Gewerkschaftsrat, um zu besprechen, wie es weitergehen soll: wieder mit- oder weiter gegeneinander.

Versagt? Nichts zu bieten? In dieses Vakuum stößt die „Wahlalternative“ mit ihrer Gründungsversammlung genau zur rechten Zeit – an einem Sonntag in den Parlamentsferien, an dem im politischen Berlin keine anderen Termine anstehen. Also findet Thomas Händel viel Gehör, der sich zum dominanten Sprecher der Rebellentruppe aufzuschwingen scheint. Hauptamtlich ist Händel Bevollmächtigter der bayrischen IG Metall in Fürth. Vor ein paar Wochen wurde er wegen seiner Abweichlertätigkeiten aus der SPD ausgeschlossen. Seit gestern firmiert Händel als einer von vier Vorstandssprechern der „Wahlalternative“.

Eine seiner Mitstreiterinnen, Sabine Lösing aus Göttingen, kommt von Attac und sagt, sie wisse noch nicht, ob sie ihre Arbeit bei den überparteilichen Globalisierungskritikern mit einem Führungsamt bei einer neuen Linkspartei vereinbaren könne. Eine Frage, die sich allerdings erst später stellt, denn ob aus dem Verein „Wahlalternative“ eine Partei wird, ist noch nicht entschieden. Darüber sollen im Herbst die Vertreter aus 70 Regionalgruppen bei einer Bundesdelegiertenkonferenz entscheiden. Vorerst geht es darum, Mitglieder zu werben. Über 10.000 Interessierte hätten sich bereits gemeldet, heißt es. Und, ja, man wolle nicht ausschließen, schon zur Landtagswahl 2005 in NRW anzutreten, sagt Händel. Oder auch zu vorgezogenen Wahlen im Bund. Für diesen Fall, dass Schröder demnächst abdankt, habe man sich in der neuen Satzung abgesichert: Es kann schon früher als 2006 losgehen, als Partei.

Die Diskussion über einen ersten Programmentwurf begann bereits am Wochenende. Die Überschriften knüpfen an die aktuellen Themen an: „Weg mit Hartz IV!“, „Keine Verlängerung der Arbeitszeit!“ Man verstehe sich aber keineswegs als Neinsagerverein, betonen Händel & Co. Und es gibt auch in dem Programmentwurf klare Forderungen wie „Reichtum besteuern!“ Nichts weniger als ein Programm für die „Sicherung und Erneuerung des Sozialstaats“ hat sich die Fast-schon-Partei vorgenommen. Doch damit nicht genug: Auch um Frieden, Ökologie und internationale Solidarität will man sich kümmern.

Es sieht so aus, als ob die SPD Konkurrenz von links bekommt – und sie stellt sich darauf ein. „Solche Initiativen nehme ich nicht leicht“, sagte ihr Parteichef Franz Müntefering gestern. Die PDS dagegen hat vergleichsweise wenig zu befürchten. Im 14-köpfigen Bundesvorstand der „Wahlalternative“ ist gerade mal ein Ostdeutscher vertreten. Und, so ein Vorstandsmitglied: „Das spiegelt ziemlich exakt den Anteil der Ostdeutschen an den Interessierten wider.“