Sportschau‘s coming home


aus Köln BERND MÜLLENDER

Heribert Faßbender, der WDR-Sportchef, hatte am Dienstagabend „zu Talk und Wort“ geladen. Viel Szeneprominenz (Calmund, Lienen, Gutendorf, Niebaum) war zur Präsentation der neuen „Sportschau“ ins Kölner Olympiamuseum gekommen. „Ein hoch emotionales Ereignis“ stehe an, sagte ARD-Programmdirektor Günter Struve. „90 Minuten Fußball ohne Spielverzögerung“ jeden Samstag versprach WDR-Fernsehdirektor Uli Deppendorf. Auffällig: Das Wort „ran“ fiel kein Mal auf dem Podium, als sei es mit einem Fluch belegt. Alle sprachen sie von den Kollegen, von früher, von den Vorgängern. Botschaft: Gestern ist Historie. Eine neue Epoche hat begonnen.

Aufregung und Stolz sind spürbar riesig, weil die Bundesliga, sportliche Veranstaltung aller Veranstaltungen, zu den ARD-Anstalten zurückgekehrt ist. Mitteilungen des WDR kommen dieser Tage nicht als schnödes Fax, sondern staatssendertragend auf elfenbeinfarbenem Papier in edler dunkelblauer Schrift, Tiefdruck. „Football’s coming home“ trällert es uns herzwärmelnd seit Wochen aus öffentlichen-rechtlichem Radio und Fernsehen entgegen. Der Bundesliga-Fußball hat wieder heim gefunden in den Schoß der Familie, in seine alte Heimat.

An diesem Samstag, 18.10 Uhr, beginnt das nostalgische Glück. Nach 15 Jahren exklusiver ARD-Rechtelosigkeit, 40 Jahre nach dem ersten Bundesligaspieltag am 24. 8. 1963 und 42 Jahre nach Erstauftreten von Ernst Huberty als Frontmann einer (noch bundesligalosen) „Sportschau“-Sendung am 4. Juni 1961. Vor lauter Vergangenheitsverklärung hatte man damit rechnen müssen, dass jetzt alle WDR-Moderatoren als „Hommage an unsere große Vaterfigur“ strenge Seitenscheitel tragen und die silbrig gefärbten Haare sardellenartig verfettet haben. Auch verzichtet man darauf, die neue „Sportschau“ in Schwarz-Weiß und nur über Antenne auszustrahlen, weil das „eine Verbeugung vor unserer großen Zeit“ wäre.

Ein bisschen Schnickschnack

Wie wird die „Sportschau“ wirklich? Bislang definieren sich die Macher über das, was es nicht mehr gibt: Studiozuschauer, Getrampel, Showtreppe, werbeblockgeteilte Spiele, „Firlefanz und Dampfplauderei“ (Faßbender). Man wolle „weniger Ehrentribüne und Spielerfrauen“ (Deppendorf). Es wird nur zwei statt fünf Werbeblöcke geben, nur selten Studiogäste (Ausnahme gleich am Samstag: Uli Hoeneß) und keine Datenbankabfragen. Aber ein bisschen Schnickschnack doch: Neben dem Klassiker „Tor des Monats“ gibt es zeitgeistig inflationär jetzt auch das „Tor der Woche“. Das verlangt Hauptsponsor T-Mobile (für 8 Millionen Euro). Dazu ein Gewinnspiel. Vielleicht heißt es öffentlich-rechtlich Rudi Ralala statt Superberti.

Steffen Simon, der neue Bundesliga-Redaktionsleiter, strebt „60 Prozent Spielszenen“ an. Das wären 54 der 90 Minuten Sendezeit. „Die Kollegen früher“ hätten, hat er nachgezählt, „nie 50 Prozent erreicht“. Aber, warnt Simon schon, man müsse „unterscheiden zwischen realer und gefühlter Zeit“. Moderator Reinhold Beckmann (im Wechsel mit Gerd Delling) will sich derart „auf Fußball konzentrieren“, dass, so seine Attacke auf die Printmedien, „keiner nachher mehr Zeitung lesen muss“.

Über all die Jahre hieß es im Volksmund, Samstags ab 18 Uhr ist „Sportschau“-Zeit – auch wenn man längst „ran“ guckte. Dass das Spiel eine schnöde Handelsware ist, seine TV-Verwertung Medienpolitik – geschenkt. Dass der Fußball ein Vierteljahrhundert aus dem Nest der ARD von ZDF zu uns kam, schlicht weil es keine anderen Sender gab – egal. Die „Sportschau“ ist zurück, weil Kirch nicht mehr konnte, weil die Schreihälse und Kindsköppe bei „ran“ am Ende nicht nur die Feuilletons nervten und die Einschaltzahlen in den Keller gingen (von 6,8 auf 4,6 Mio.).

SAT 1 hatte neun Monate gebraucht

Sportschau’s coming home für die nächsten drei Jahre: Zum Paketpreis von fast 70 Millionen Euro Rechtegebühr per annum inklusive Zweitverwertung und (neuerdings offiziell ausgewiesenen) Zahlungen für den Hörfunk (5,2 Mio.), dazu Produktionskosten von fast zehn Millionen, deutlich mehr als zuerst geplant. Eine 90-Sekunden-Ausgabe der Tagesschau muss zwischengeschaltet werden, um die rechtliche Voraussetzung für zwei Werbeblöcke zu schaffen. „Der Vorverkauf läuft gut“, heißt es, die erste Sendung ist ausgebucht.

Nicht jeder weiß die historische Zäsur zu würdigen. Am Montag war interne WDR-Redaktionsversammlung im blauen „Nato-Saal“ 6230 des Kölner Reichardthauses. Einziger Tagesordnungspunkt: die „Sportschau“. Knapp hundert Mitarbeiter waren gekommen, viele skeptisch, manche ängstlich, welche Auswirkungen der teure Fußballdeal auf ihre sportferne Arbeit haben könne. Ein Mitglied des Personalrates staunte nachher: „Die Anzahl der Kritiker hielt sich doch in Grenzen.“ Die Sendeleitung habe „nachhaltig dementiert“, dass es an anderer Stelle Mittelkürzungen geben könne oder gar Stellenabbau zur indirekten Refinanzierung. „Aber genau kann ja niemand die Kalkulation nachvollziehen.“

Fernsehdirektor Uli Deppendorf hatte seine WDR-Familie vehement eingeschworen: „Bei aller ästhetischer Modernität bleibt auch diese ‚Sportschau‘ öffentlich-rechtlich im besten Sinne des Wortes.“ Die Stimmung im Saal changierte dann mehrheitlich zwischen Ehrgeiz, Stolz und Genugtuung – Motto: „Wir können es doch. Wir ziehen an einem Strang.“ Heißt: Man kann etwas das Image von Bürokratie und Beamtenmentalität abstreifen. „Das“, sagt einer, „ging von Verwaltungskräften bis zum Cutter.“ Entsprechend hatte Deppendorf seine Leute gelobt, es sei toll, „was wir in fünf Wochen geschafft haben“. Sat.1 hatte zur „ran“-Geburt neun Monate gebraucht.

Trotzdem: „Nicht jeder in der ARD schreit Hurra.“ Sagt sogar einer der sieben Sportkräfte, die für ihre Region als „Sportschau“-Reporter arbeiten werden. Fußball, Fußball über alles: Er soll jetzt ausschließlich Bundesliga machen – und sein bisheriges Fachgebiet sausen lassen. Auch bei der WDR-Versammlung blieben offene Fragen: Was bedeutet das, wenn eine Nachrichtensendung zum Werbebegleitprogramm gehört? Und: Ob ein solcher Sprung in die Kommerzialität nicht eines Tages in Brüssel ganz böse als öffentliche Beihilfe aufstößt, wenn es um den Fortbestand des gebührenfinanzierten Fernsehens geht? „Das kann schwer nach hinten losgehen“, sagen Skeptiker. Szenekenner wissen, dass im Moment niemand beim WDR öffentlich meckern wird, schon gar nicht gegen den Intendanten und bekennenden Fußballjunkie Fritz Pleitgen, der mit der Liga-Heimholung ein Stück Lebenswerk vollendet sieht.

Einiges ging auch im Vorfeld schief. Gern hätte man die Liga geschlechtsübergreifend präsentiert. Doch Sandra Maischberger und Anne Will winkten ab. Bleibt die übliche Herrenrunde: Beck- und Hartmann, Rubenbauer, Delling (ohne Netzer), Faßbender (hinter der Kamera). Steffen Simon, „ran“-erfahren, wurde in aller Hektik fast aus dem Kreißsaal heraus zum neuen Redaktionsleiter Bundesliga ernannt. Die Idee hatte ARD-Sportkoordinator Hagen Boßdorf, Anfang der 90er-Jahre taz-Redakteur für Leibesübungen, damit der WDR nicht im eigenen Saft brutzelt.

Heribert Faßbender ist dadurch ausgebremst. Als „Sportchef“ im zweiten Glied darf er sich immerhin freuen, dass „es noch nie eine solche Aufbruchstimmung im WDR gab“, und ansonsten rechnen: Am Dienstag stellte er die Parade der ‚Sportschau‘-Macher neben sich „in Mannschaftsstärke“ vor: „Da können Sie ruhig nachzählen.“ Auf dem Podium saßen acht Leute. Und Faßbender musste sich erklären lassen, dass der Hauptsponsor nicht Tee-Mobil ausgesprochen wird, sondern englisch t-mobile. Gerd Delling nachher: „Ich bin sicher, dass war kein gewollter Gag.“

Dass die „Sportschau“ und der FC Bayern jetzt den gleichen Werbepartner haben, lässt Skeptiker mitstoppen, ob die beworbene Münchner Meisterbrust jetzt auffällig häufig ins Bild gerückt wird. Die Verantwortlichen geben sich empört: „Das wäre redaktionell unverantwortlich“, sagt Günter Struve.

Kein Comeback für Ernst Huberty

Steffen Simon ist etwas bang, dass man anfangs „gnadenlos verhackstückt“ werde. „Am Montag“, ist Sportkoordinator Boßdorf sicher, „werden uns alle verreißen, werden von ‚ran light‘ schreiben und sagen, es war ja kaum anders als sonst. Aber das legt sich.“ Altmeister Ernst Huberty wird nach der Samstagspremiere intern die Kritik machen und dabei v. a. darauf achten, „ob sparsam genug geredet wurde“. Ein Comeback hat der 76-Jährige, der auch als Pensionär mild-maliziös lächelt wie zu Zeiten seiner „guten, alten Sportschau“, längst ausgeschlossen: „Das ist so utopisch, als würde ich in eine Raumkapsel steigen und versuchen, zum Mars zu fliegen.“

Nachverpflichtungen am Reporter-Transfermarkt sind ausdrücklich vorgesehen. „Aber keiner von außen“, sagt Hagen Boßdorf, also kein Brüllaffe Marke Dahl- oder Herrmann. Auf der Reservebank wartet zuerst der witzig-kompetente Manni Breuckmann, bislang Hörfunker. Sollte es zu bieder werden, muss man befürchten, dass WDR-Urgestein Werner Hansch heimgeholt wird („Fasel’s coming home“). Das Ganze könnte dann „Sportschauissimo“ heißen. Und als Superjoker hat Sekundant ZDF die Tierserie Daktari in petto. Löwe Clarence und Schimpansin Judy wieder als zeitgleiche Konkurrenten wie in den 70er-Jahren, nur diesmal mit Absicht inszeniert – das wäre ein wahrer Überraschungscoup: Mama kann wieder knurren, wenn Papa sein Fußball-Dope nimmt, und die Kinder werden wieder bitterlich weinen. Die Liga wäre endgültig zurück im Schoß der Familie.