„Charles Taylor ist inzwischen ein Stabilitätsfaktor“

Marie Leigh-Parker, Frauenvertreterin bei der Friedenskonferenz in Ghana, wünscht sich eine Militärintervention – und befürchtet Chaos, falls Präsident Taylor zu früh abtritt

taz: Mrs Leigh-Parker, was können Sie uns über die Lage in Monrovia berichten?

Marie Leigh-Parker: Vor einer Woche war ich da, als gerade der Artilleriebeschuss begann. Und ich musste um mein Leben rennen. Aus dem Auto sah ich von der Broad Street aus, wie in der Nähe eine Rakete einschlug. Sie riss einem Mann den Kopf ab, der die Straße entlanglief. Er rannte ohne Kopf weiter und weiter, bis der Körper zusammensackte. Dieses Bild habe ich immer noch vor Augen.

Eine zweite Rakete traf ein kleines Mädchen. Sie wurde in kleine Stücke gerissen, Fleisch und die Knochen flogen durch die Gegend. Das waren die Raketen der Lurd (Rebellenbewegung „Vereinigte Liberianer für Versöhnung und Demokratie“, d. Red.). Es gibt Hunger. Ich war in den Lagern, es gibt keine Lebensmittel, es gibt kein Wasser und keine Medikamente. Die Menschen sterben.

Jetzt verhandeln Sie hier in Ghanas Hauptstadt Accra um Frieden. Worum geht es auf dieser Konferenz?

Es ist schade, dass diese Konferenz schon so lange dauert. Wir sind seit 4. Juni hier, seit der Eröffnung in Akosombo. Am Anfang wollte die Lurd nicht mit der Regierung reden, die Regierung nicht mit Model (Rebellenbewegung „Bewegung für Demokratie in Liberia“, d. Red.) und Model nicht mit Lurd. Unsere Gruppe hat die drei zusammengebracht. Schließlich wurde am 17. Juni ein Waffenstillstand unterzeichnet. Nun sind wir in Accra, um eine Interimsregierung zu bilden. Lurd, Model und die politischen Gruppen arbeiten nun an einem Friedensabkommen. Jede Partei kann Vorschläge dazu machen.

Was ist die Rolle der Frauen dabei?

Wir versuchen, der gesamten Region Frieden zu bringen: Sierra Leone, Liberia und Guinea. Wir sind Mütter, die die Gruppen zusammenbringen wollen. Es gibt keine Frauen in Lurd und Model, auch nicht in der Regierungsdelegation bei der Friedenskonferenz. Wir setzen unseren Einfluss als Frauen und Mütter ein, und sie hören zu.

Der Friedensprozess hängt an der Forderung, Präsident Taylor solle die Macht abgeben. Wie kann man den Disput um die Person Taylor verstehen?

Die internationale Gemeinschaft hat einen Fehler gemacht. Sie überredete Taylor, nach Ghana zu Friedensgesprächen zu kommen, und stellte dann Haftbefehl gegen ihn aus. Das brachte die Gespräche durcheinander. Taylor kontrolliert verschiedene militärische Gruppen. Es ist wichtig, dass er im Amt bleibt, bis eine Friedenstruppe einrückt.

Also ist Taylor ein Ordnungsfaktor?

Taylor ist inzwischen ein Stabilitätsfaktor. Wenn er geht, gibt es Chaos. Denn dann wird seine Armee sagen: Wir sind am Ende, wir müssen schnell reich werden. Die Soldaten werden zu plündern beginnen. Lurd kann dann einfach das Land übernehmen, oder Model kommt von der anderen Richtung, und es gibt Krieg zwischen den beiden.

Wie stehen die Liberianer zu den Rebellen?

Ich habe gesehen, wie Leute demonstrieren und rufen „Wir wollen keinen Krieg mehr! Wir wollen Frieden!“ Sie wollen Frieden. Doch nicht um jeden Preis, also als Belohnung für die Rebellen. Sie sollten zur Verantwortung gezogen werden für die Leben, die sie auf dem Gewissen haben.

Wie sehen Sie die Rolle der internationalen Gemeinschaft?

Sie wartet, dass Lurd und Model entweder Taylor töten oder gegeneinander kämpfen. Wenn sie wirklich wollte, dass Taylor ins Exil geht, hätte sie längst das Geld gefunden, um eine Friedenstruppe zu finanzieren. Wenn man einen Menschen nicht mag, opfert man nicht 1,5 Millionen Menschen für diesen einen. Aber das ist, was in Liberia geschieht. Weil die internationale Gemeinschaft Taylor nicht mag, leiden wir Liberianer. Sie hätten doch die Friedenstruppe aufstellen können und Taylor in Ghana verhaften können. Dann wäre alles vorbei gewesen.

Wie geht es jetzt weiter?

Ich appelliere an die internationale Gemeinschaft, die USA, die Europäische Union, Deutschland: Stellt das Geld bereit, damit die Friedenstruppe sofort nach Liberia kommen und den Krieg beenden kann. Bis jetzt hat nur ein Land Geld zugesagt: die USA, und zwar 10 Millionen Dollar. Das reicht nicht. Wir wollen nicht ein neues Ruanda oder Kongo werden, wo erst die Leute sterben mussten, bevor einmarschiert wurde. Wir wollen, dass die Friedenstruppe vorher kommt. INTERVIEW: HAKEEM JIMO, ACCRA