Es klingt so schön exotisch

Es müssen nicht immer echte Mönche aus Shaolin sein. Denn noch bis Sonntag gibt es in Berlin auch Kung-Fu-Nonnen zu bewundern. Die zertrümmern mit dem Kopf auch schon mal eine Marmorplatte

von JAN ROSENKRANZ

Shi Miao Lin ist 24 Jahre alt und kommt aus dem Yong Tai Kloster, sagt sie. Jedenfalls sagt das Herr Wei. Es ist ihre erste große Reise, die erste ins Ausland – und dann gleich nach Berlin. Sie hat sich sehr darauf gefreut und war dann doch enttäuscht. Sagt sie. Sagt Herr Wei. Denn dass die Verständigung so schwierig werden würde, hätte sie nun wirklich nicht gedacht. Sagt sie. Sagt Herr Wei. Mandarin und Deutsch haben so wenig gemein wie Litschi und Apfel. Ohne Coa Wei, den „Leiter der Delegation“, wäre sie verloren und der Reporter auch.

Coa Wei ist 58, hat in Wien Musik studiert und spricht Mandarin und Deutsch mit leichtem Schmäh. Sie muss ihm vertrauen, der Reporter auch. „Wo das Vertrauen fehlt, spricht der Verdacht“, sagt Laotse. „Wer leicht vertraut, wird leicht betrogen“, sagt Goethe. Was soll man machen?

Shi Miao Lin ist nicht zum Reden nach Berlin gekommen. Sie kam, um zu kämpfen – mit dem Schwert, dem Stock, den bloßen Händen. Shi Miao Lin ist eine von sechs jungen Frauen der 25-köpfigen Shaolin-Kung-Fu-Truppe, die im „Tipi“ hinterm Kanzleramt auftritt. Ihre Show heißt „Lotus und Schwert“. Auf dem Höhepunkt wird eine Marmorplatte mit dem Kopf zertrümmert.

Seit sieben Jahren ziehen die „Meister des Shaolin-Kung-Fu“ durch die Welt und unterhalten das Publikum mit einer Show aus Asia-Kitsch und Akrobatik. Weil Shaolin so mystisch klingt, nach Abenteuer, Weisheit und Exotik. Und weil alle etwas davon haben: der österreichische Veranstalter Peter Fechter, der nebenher auch die Stones, Reinhold Messner und Robbie Williams managt. Das chinesische Tourismusministerium, das noch mehr als die jährlich 1,5 Millionen Reisende in die Provinz Henan locken will. Dort gibt es hunderte Kung-Fu-Schulen mit tausenden Schülern und hunderten Meistern und ein Kloster namens Shaolin mit 150 echten Mönchen. Und die Zuschauer bekommen zumindest eine Bestätigung ihres China-Bildes. Was Shi Miao Lin bekommt, will Herr Wei nicht sagen. Es sei auf jeden Fall weit mehr Geld, als man in China verdiene.

Wo sich Potsdamer und Bülowstraße kreuzen, steht das Apartmenthotel „Residenz 2000“. Der aluminiumgraue Kasten ist das Tournee-Quartier. Man sitzt in einem aufgeräumten kleinen Zimmer mit drei Betten und sechs Chinesinnen in weiten seidig-glänzenden Kung-Fu-Anzügen – die „Meisterinnen aus dem Yong Tai Kloster“, sagt der Werbeprospekt. Man spricht über Chi und Qigong, Wushu und Shaolin-Kung-Fu und was sie von Berlin gesehen haben.

Sie fahren täglich Bus. Linie 187 bis Schloss Bellevue, dann in die 100, wenn sie kommt oder zu Fuß bis zum „Tipi“, wo sie auch gemeinsam essen. „Wir machen fast alles in der Gruppe“, sagt Wei. Das sei kein Zwang, sondern in China üblich. Wenn Zeit übrig war, haben sie sich die Stadt angesehen: Brandenburger Tor, Alex, Museen. Naja, sagt Wei, sie sind daran vorbeigefahren.

„Wir beten viel und lesen in den buddhistischen Schriften“, sagt Shi Miao Lin. Sie ist Novizin, sagt Wei. „Wir lesen im Lotus-Sutra“, sagt Shi Heng Cui. Um ihren Hals baumelt ein Schlüsselband mit der Aufschrift „Shaolin-Kung-Fu“. Während sie leise spricht, fixiert ihr Blick einen unsichtbaren Punkt im Raum. Die Meisterin, sagt Wei. Sie ist 34 und so etwas wie der Star der Gruppe. Die mit der Marmorplatte. Ein Mal pro Woche ist sie in Begleitung zu Obi gefahren, neue Platten kaufen. Sie hat sie ausgesucht. Nach dem Muster? „Nach der Größe, sie müssen in unser Metallstativ passen“, sagt Shi Heng Cui. Mit sechs habe sie mit dem Training begonnen. Erzählt sie. Mit 12 sei sie von zu Hause abgehauen. Die Eltern suchten sie überall. Nach einigen Tagen habe sie ihnen per Fax mitgeteilt, dass sie im Shaolin-Kloster sei. Übersetzt Herr Wei.

Ist Shaolin nicht nur für Männer? Ja, sagt Herr Wei, aber Yongtai ist das Shaolin für Frauen. Es sei praktisch dasselbe. Und man sitzt milde lächelnd da und fragt sich, was nur soll man davon glauben. Nach allem, was man weiß, ist Yongtai vor allem ein Kloster gewesen. Der Legende nach wurde es vor 1.500 Jahren gegründet, war aber in jüngster Zeit vor allem ein ruinöses Kulturdenkmal. Bis vor ein paar Jahren eine chinesische Unternehmerin etwa 1,5 Million Euro in den Wiederaufbau des Klosters und einer Schule investiert hat.

„Wo Vertrauen fehlt, spricht der Verdacht“, sagt Laotse. Kann man einer Show vertrauen? Einer Show, die vor kurzem noch behauptet hat, sie werde von Shaolin-Mönchen bestritten – die keine sind. Die im Prospekt nun als „Meister aus Shaolin“ bezeichnet werden, weil sonst Klagen drohen. „Wer leicht vertraut, wird leicht betrogen“, sagt Goethe. Fragt sich nur, wer worum betrogen wird, wenn man ein China will, wie beim Chinesen an der Ecke? Ein bisschen exotisch, aber bitte nicht zu scharf.

Die Show läuft heute 20.30 Uhr und morgen 19.30 Uhr. Karten kosten 25 bis 50 Euro. Infos: www.tipi-das-zelt.de