Üben für die Uno

Das „Hanseatic Model United Nations“ ist eines der weltweit verbreiteten Foren, in denen sich Studierende für die Diplomatenkarriere warmlaufen

Die nächste Konferenz im Herbst soll die vergangene toppen – 163 junge Leute kamen zum Jahrestreff 2003

von Hildegard Filz

In der Kneipe sind Lacher erlaubt. Gerades Sitzen muss nicht sein. Cocktails mit Alkohol, kein Wasser ohne Kohlensäure wie vorhin. Zwischen Agnes und Helene menschelts wieder. An jedem Montagabend gegen halb neun. Nachdem das Spiel ein Ende hat. Ein Spiel, das wenig spielerisch ist – mit höflichem Lächeln bei aller Hartnäckigkeit in der Sache. Nicht nur der Inhalt, auch die Form entscheidet. Yin und Yang im Duett. Das ist ihr Netz und ihr doppelter Boden, wenn sie über den Irak reden, die Menschenrechte, den Klimaschutz.

Es ist ein Modellversuch: Studierende der Uni Hamburg simulieren diplomatische Treffen, Vorbild ist die New Yorker Uno-Versammlung. Die „Hanseatic Model United Nations“ ist eines der weltweit verbreiteten Foren, in denen sich künftige Diplomaten warmlaufen können. Warmreden. Auf Englisch, please.

Esa-Gebäude, Ostflügel, Raum 222. Diesmal geht es um den Schutz der Ozeane. Das Thema wechselt wöchentlich, das Prozedere tut es nicht: Acht Leute sind an diesem lauen Frühlingsabend zusammengekommen, um zu schweigen. Zunächst einmal. „Minute of silent prayer“ steht im Ablaufplan von Helene Gall (22), seit acht Semestern lernt sie die Politikwissenschaft kennen. Als Vorsitzende verlangt sie eine Schweigeminute. Klärt Anwesenheit und Abstimmungsverhalten der Länder. Wer „Voting“ ankündigt, wird die Resolution gutheißen oder ablehnen müssen. Enthalten darf er sich nicht. Das Yin-Yang hat strenge Regeln. Aus Agnes Wurm (25), Politikstudentin, wird Kanadas Delegierte. Kanada steht auf der speakers‘ list. Das Spiel kann beginnen.

Es ist ein freiwilliges Vergnügen, das kein Schein belegt. Welche Belohnung gibt es dann? Die Argumente spätabends am Kneipentisch: „Englisch aufbessern“, „Leute kennen lernen“. Schließlich: „Interesse an der Außenpolitik“. Erst jetzt wisse sie, was die Uno macht, sagt Agnes Wurm.

Was sie macht, das zelebrieren sie steif und streng. Jeder Rede darf eine Diskussion folgen. In 15 Sekunden kurzen Statements wird verpackt, wer wann sein Rederecht bekommt. Operative clauses liefern die Permanent-Kosmetik – Standardfloskeln fürs diplomatische Miteinander. „Are there any points of information?“, Helene fragt nach abweichenden Meinungen, stilsicher lenkt ihre Stimme durch das Labyrinth der Worte. „Ein Debattier-Club mit Inhalt“, sagt sie dazu.

Die „Hanseatic“-Gruppe ist als Verein organisiert, 40 Mitglieder sind es inzwischen. Politologen, Juristen, wer will, der kommt, auch unter Biologen gibt‘s Möchtegerndiplomaten. Ursprungsland dieser Idee sind die USA. 1945 – das Gründungsjahr der Vereinten Nationen und der „Model United Nations“. In fast allen Ländern ist diese Organisation vertreten, in Deutschland 15 Mal. „Man kennt sich“, sagt Agnes, die nächste Hamburger Konferenz im Herbst solle die vergangene toppen – 163 junge Leute kamen zum Jahrestreff 2003, um in der kooperierenden Bundeswehr-Uni Probleme der Weltgemeinschaft zu diskutieren. Am Monatsende stehen die neuen Themen fest, dann sind Anmeldungen möglich.

„Man kennt sich“ – auch durchs New Yorker Planspiel. Unter der Schirmherrschaft Kofi Annans, des Generalsekretärs, nehmen jährlich bis zu 3.000 Studenten teil. An Originalschauplätzen wie dem Plenarsaal simulieren sie Abläufe der UN-Gremien. Auch Helene und Agnes waren schon dabei, 2002. Helene und Agnes als Repräsentantinnen Georgiens. Um sich über die Kaukasusrepublik zu informieren, reisten sie zum Botschafter nach Berlin. Heraus kam eine Einladung nach Tiflis – inklusive Heimflug in der Privatmaschine Eduard Schewardnadses, der zu Hans-Dietrich Genschers Geburtstag nach Halle wollte. „Zeit zum Small Talk hatte er nicht“, sagt Helene, nippt am Cocktail und erinnert ans Händeschütteln mit Georgiens Ex-Präsidenten.

Pause in Raum 222. Beratungspause. Philippa Schmidt (24), sechstes Semester Politikwissenschaft, wollte es so, also Japan. Stimmt mit den anderen Strategien ab, taktiert, bis die Resolution steht: Ein Beschluss, sich an bestehende Abkommen zum Schutz der Ozeane zu halten. Er kommt durch, auch wenn Irland sich enthält.

„Diesmal ging‘s schnell“, sagt Agnes im Kneipenqualm, „manchmal geht‘s kontroverser zu“. Risiken und Nebenwirkungen der Diplomatie? Sie hat Verständnis, wenn die echten Uno-Vertreter verschlüsselt reden, um ihrer Verhandlung nicht zu schaden. Sie hat kein Verständnis für „Achse-des-Bösen“- und „Kreuzzug“-Formulierungen. Ein Rezept bitte vom Nachwuchs? „Ruhig bleiben, nicht lachen, nicht ‚scheiße‘ sagen.“

Agnes will‘s schaffen: Sie hat sich um ein Praktikum bei der Uno beworben.

Information und Anmeldung unter www.hammun.de.