mein fast perfekter sommer (5)
: JÖRN KABISCH über postalische Urlaubsnachwehen

Immer diese Guter-Flug-Meer-blau-Essen-vernünftig-Postkarten

Früher habe ich manchmal Postkarten geschrieben. Heute ist mir das einfach zu blöd. Sich ständig neue Varianten von „Guter-Flug-Meer-blau-Essen-vernünftig“ einfallen zu lassen kostet doch mindestens zwei Tage Erholung, von dem peinlichen Auftritt im Kiosk gar nicht zu reden – und der Frage, ob es denn auch Briefmarken nach Tyskland, Alemania oder Jerman gebe.

Nur ein einziges Mal habe ich eine ehrliche Postkarte nach Hause geschrieben: „Lieber K., wir sind gut in New York angekommen, diskutieren aber gerade, ob wir zwei oder drei Museen am Tag anschauen sollen. Für das Museum of Modern Art, sagt L., muss man sich gleich zwei Tage Zeit nehmen. Schließlich ist das allein eine Reise wert, sagt der Dumont-Führer. Bisher waren wir in noch keinem Museum. Aber die Pancakes schmecken. Grüße …“ Als L. und ich wieder heimkamen, hatten wir eine tolle Reise und keine Museen in Erinnerung. Allerdings war der Anrufbeantworter voll. Mein Freund K. hatte unsere Beziehung bereits für beendet erklärt und mir das Band mit entsprechenden Single-Tipps besprochen. Wie gesagt, früher habe ich manchmal Postkarten geschrieben.

Heute muss ich unserer Urlaubsbekanntschaft vom letzten Jahr schreiben. Brieffreundschaften von einer Reise mitzubringen – das finde ich allgemein ganz charmant. Eine schöne Verlängerung des Ausflugs in die weite Welt sozusagen. Wobei es sich um Elba handelt und konkret um R. und S. aus Treuchtlingen. Die beiden haben inzwischen ein Kind, dass nach dem Abendessen bei Don Camillo in Piombino gezeugt worden sein muss, wo sie uns von der Fähre hinschleppten. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass sie uns in dem Brief Fotos von ihrer kleinen Daniela geschickt haben und gleichzeitig Schnappschüsse von dem Abend – rot-weiß karierte Tischdecke und die Zweiliterflasche Lambrusco inklusive.

R. und S. schrieben jedenfalls, sie führen dieses Jahr wieder nach Elba und freuten sich schon, dass wir Daniela dann auch „live“ erleben könnten. Den Trubel kann ich mir lebhaft vorstellen und bin zu dem Schluss gekommen, dass hier ein diametraler Widerspruch zu meinen sonstigen Vorstellungen von Urlaub besteht. Weil L. diese reiflichen Überlegungen nicht teilen wird, habe ich sie einfach überredet, woanders hinzufahren: nach Giglio, südlich von Elba. Man kann schließlich nicht jedes Jahr auf dieselbe Insel. Das habe ich jetzt auch R. und S. geschrieben. Es war so aufreibend wie fünf Guter-Flug-Meer-blau-Essen-vernünftig-Karten.

Es gibt da ein einschneidendes Erlebnis aus meiner mittleren Jugend. Von einem Schulausflug an den Tegernsee habe ich unfreiwillig eine Brieffreundschaft mitgebracht. Dabei war Toni, der mit einer Klasse aus Passau in dem Schullandheim war, eigentlich ganz in Ordnung. Er hatte nur eine Zwillingsschwester. Ella. Über drei Ecken weiß ich heute, dass sie endlich nach München geheiratet hat. Ich bilde mir ein, entsprechende Vorlieben zeigte sie damals schon gegenüber 14-jährigen pickligen Jungs. Das brachte mich ganz schön ins Schwitzen – das letzte Mal, als ein Brief von Toni kam. Auf dem Umschlag stand: „Ein Brief aus Ost, ich warte auf Post. Ella.“ Da liefen die nächsten 70 Lebensjahre im Zeitraffer vor mir ab.

Neulich hat mir ein Bekannter erzählt, er habe als Kind immer eine Flaschenpost ins Meer geworfen. Nur leider habe er bis heute nie eine Antwort bekommen. Der Glückliche.