berliner szenen Deutscher Ton

Fußballmusik als Strafe

Um kurz nach acht war’s schon extrem voll im ehemaligen Reichelt in der Bergmannstraße, der von dem Plattenladen „neu“ zwischengenutzt wird. Wir guckten weiter; uns nach Hause zu verkrümeln, nur weil wir die letzten Spiele verloren hatten, ging doch nicht. Während auf der Großbildleinwand tonlos die Abschlussfeier der EM lief, legten zwei Männer Platten auf.

Die beiden waren vermutlich vom Fußballmagazin Elf Freunde, das die Ausstellung mit den Fußballplatten, die von der Decke hingen, organisiert hatte. Der Fußballmusik war auch ironisch nichts abzugewinnen. „Ha, ho, heya, heya, heya – Fußball ist unser Leben …“ Irgendwie kam es einem wie ein Akt kultureller Überheblichkeit vor, dass man deswegen die hübsche Frau, die auf der Abschlussfeier sang, nicht hören konnte. Die Fußballvolksmusik könnte zu dem Nazisoldatenbild auf der neuen Titanic passen, dachte man und las schlecht gelaunt und mit Zahnschmerzen die Unterzeile „So werden wir Europameister!“. Die Titanic war umsonst verteilt worden. Das eventorientierte Publikum buhte, als DFB-Präsident und Otto Rehhagel im Bild waren. Bei Rehhagel klatschte auch mancher. Oft hatten wir verloren und verloren schon wieder, was uns nicht wirklich überraschte. Aber die, die nur zum Spaß und mal so Fußball gucken, freuten sich und jubelten, wo uns entschiedenes Schweigen angemesseener erschien. Betreten gingen wir nach Hause.

Fußball besteht aus Projektion, Gegenprojektion und Großbildprojektion. Frustriert ist man ja fast immer nach WMs und EMs, aber diesmal befürchteten wir ernstlich, dass das Schule machen könnte. Trotz eines Feuerwerks von echten Griechen zwischen den Häusern.

DETLEF KUHLBRODT