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: HELMUT HÖGE über den Tourismusverdacht

Andere Länder, andere Diebe, andere Polizisten

Das Berlin-Marketing begann mit den Kreuzberger Hausbesetzern, als diese das Transparent raushingen: „Wir sind die Terroristen – und grüßen die Touristen. Aber Hallo!“ Seitdem kommen immer mehr Urlauber nach Berlin. Die Stadt hat zwar seit dem Mauerabriss keine Sehenswürdigkeiten mehr, aber es ist die einzige, in der die Einwohner nicht die Touristen, sondern umgekehrt diese die Einheimischen ausrauben.

Bei mir wurde neulich eingebrochen. Erst als der Verbrecher die Tür von außen zuknallte, wachte ich auf – und sah noch, wie er über den Hof hastete: ein junger Mann mit strähnigem blondem Haar. Eine Bestandaufnahme ergab: Er hatte mir nur eine kaputte Kamera geklaut und aus meiner Brieftasche die letzten 10 Euro. So einen bescheidenen Dieb lob ich mir! Es war der Däne, der immer am Kotti rumhing, versicherte mein Nachbar mir später. Dort wurde dann umgekehrt auch mal ein (ostdeutscher) Tourist ausgeplündert. Als er zur Polizeiwache Friedrichstraße ging, nahmen die ihn dort gleich fest, denn er wurde mit Haftbefehl gesucht.

Weitaus freundlicher waren da die Londoner Polizisten, als eine Touristin aus Berlin den Diebstahl ihres Laptops anzeigte, den sich ein älterer Mann an der Bushaltestelle vor dem Kensington Hilton geschnappt hatte, während sein jüngerer Komplize sie mit Fragen nach einer Adresse ablenkte. Zwar blieben die Trickdiebe unauffindbar, aber die Polizisten riefen die Touristin noch monatelang in Berlin an, um ihr jedes Mal mitzuteilen: „Nichts Neues!“

In Tallinn sind die Opfer meist Finnen, die dort als Sex- und Alkoholtouristen in Scharen einfallen: In betrunkenem Zustand werden sie regelmäßig brutal ausgeraubt. Und die Polizisten können hernach kaum ihre klammheimliche Freude darüber verbergen.

In Prag gibt es es für ausgeraubte Touristen eine spezielle Wache mit Dolmetschern: 4 mal 3 Meter groß. Dort kann man sehr schön die unterschiedlichen Reaktionen der betroffenen Landsmannschaften studieren: Die Engländer vertreiben sich die zweistündige Wartezeit mit Witzen, die Franzosen grämen sich über ihre mit entwendeten Opernkarten, die Deutschen schimpfen auf die diebischen Tschechen, und die Serben, die nun ohne Gepäck dastehen, werden ganz euphorisch, denn es handelt sich um ein TV-Team, dem dort die Idee zu einem neuen Film einfällt: „Der Tourist als Beutetier – ein internationaler Städtevergleich“.

Dafür wäre Mailand nicht schlecht: Dort parkten kürzlich zwei Freunde von mir ihren VW-Bus vor einem Café, wo sie auf die Schnelle ein Glas Wein tranken. Als sie weiterfahren wollten, sahen sie, dass ihnen zwei Räder fehlten. Deprimiert ließen sie das Auto abschleppen und suchten sich ein natürlich viel zu teures Hotel. Die Gleichgültigkeit der Karabinieri, die den Diebstahl aufnahmen, gab ihnen dann den Rest. Abends schlenderten die beiden schlecht gelaunt an der Mailänder Scala vorbei. Vor den Eingängen stauten sich die reichen Freunde der italienischen Oper – in edlen Garderoben. Alle hatten ihr Autoradio unterm Arm. Bei dem Anblick besserte sich ihre Laune schlagartig.

Überhaupt nicht lustig war dagegen das Erlebnis einer Gruppe westdeutscher Diskothekenbesitzer, die mit ihrem Schwarzgeld nach Rio gedüst waren. Dort kam ihnen irgendwann im Dschumm ihre Kölner Stimmungskanone abhanden. Erst zwei Tage später fanden sie den Mann wieder – vorm Hotel: Ihm fehlten nicht nur Geld und alle Papiere, sondern auch eine Niere. Der Kölner konnte sich an nichts erinnern, und die Polizei behauptete erst mal, er wäre bereits einnierig eingereist.

Ganz anders erging es meiner Freundin Ewa in Polen, die dort ein Bauernhaus hat – dazu acht Hühner. Eines morgens lagen sie alle tot im Stall. Sie vermutete einen nachbarlichen Racheakt – und fuhr wütend zur Polizei: „Das ist eine Riesensauerei und bestimmt nur wegen meines deutschen Freundes!“, schimpfte sie. Die Polizisten beruhigten sie: „Den Täter finden wir bald, es gibt da schon einen Verdacht!“ Besänftigt kehrte Ewa zu ihrem Hof zurück – und schaute noch mal nach den toten Hühnern. Da entdeckte sie in einer Ecke des Stalls einen sibirischen Marderhund: Er war durchs Fenster gesprungen und kam nun nicht wieder raus. Sie fuhr daraufhin noch einmal zur Polizeiwache – und entschuldigte sich. Die Polizisten kuckten sie entgeistert an: Sie waren inzwischen ihrem Verdacht nachgegangen und hatten den vermeintlichen Täter auch bereits abgestraft.