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Sieg des irdischen Meisters

In einem überraschend engen Match gegen Andy Roddick kann Roger Federer seinen Titel in Wimbledon verteidigen. Sein bestes Tennis zeigt er dabei erst gegen Ende der Partie

AUS LONDON DORIS HENKEL

Der Star des Abends stolzierte in güldenen, mit Schmucksteinen besetzten Riemchen-Schuhen zum Champion’s Dinner, auf Absätzen von gut zehn Zentimeter Höhe. Und das Kleidchen, ein 3.000-Euro-Designerteil von Marc Jacobs in zwei Lagen aus Chiffon in Creme und Satin in Gold, endete 20 Zentimeter über dem Knie. Die langen, blonden Haare offen getragen, Glitzern in den grünen Augen, aber zu all dem jetzt nur noch ein Wort: Golden Girl. Das erschloss sich sogar den so steifen Herren vom All England Club. „Wir haben eine Prinzessin und einen König“, verkündete der Vorsitzende Tim Phillips in seinem Toast auf die Sieger. Dass Maria Scharapowa, Wimbledons neuer Liebling, in ihrer Aufmachung beim traditionellen Dinner im Londoner Savoy Hotel nicht nur die meisten der 400 Gäste, sondern auch den Kollegen Roger Federer überragte, versteht sich von selbst. Sie ist auch ohne Schuhe nur zwei Zentimeter kleiner als der Schweizer. Aber der war mit Freundin Mirka Vavrinec erschienen und machte den Eindruck, als sei er so sehr im Reinen mit sich, dass er sich von Scharapowa nicht verwirren ließ. Andy Roddick übrigens fand es gar nicht nett, dass er nicht zum Dinner durfte.

Sagen wir mal so: Es hatte nicht viel gefehlt. Als es zum zweiten Mal während des Finales zu tröpfeln begann, hatte Roddick beim Stand von 1:1 Sätzen 4:2 in Führung gelegen, mit besten Aussichten für den weiteren Verlauf. Das sah auch Federer so, der beim Verlassen des Centre Courts dachte: „Es ist falsch, wie du hier spielst; von hinten geht’s nicht.“ In der Kabine beriet er sich mit seinen Leuten, mit Pavel Kovac, dem Physiotherapeuten, und mit dem Freund Reto Staubli. Sagte: „Ich denke, ich sollte mehr Serve und Volley spielen“, und fragte: „Was denkt ihr?“ Als die Partie danach im Sonnenschein wieder begann, spielte der Titelverteidiger mit mehr Risiko, versuchte Roddicks Feuerwerk zu löschen, und hatte Erfolg. Ausgleich, später Satzgewinn im Tiebreak. Dann befreite er sich immer mehr. Ganz am Schluss der zweieinhalb Stunden des Finales spielte er fast wieder so berückend gut wie in den ersten zehn Tagen des Turniers und wie so oft seit seinem Sieg in Wimbledon vor einem Jahr.

Damals floss das Glück wie Champagner durch seine Adern. Er war unendlich froh, sein Talent in eine feste Form gegossen und das geschafft zu haben, was alle Welt von ihm erwartet hatte. Das Gefühl war anders beim zweiten Sieg; nicht mehr prickelnd wie Champagner, vielleicht eher beseelend wie guter, alter Wein. Er sei stolz und glücklich, sagte Federer, in einem kritischen Moment die richtige Entscheidung getroffen zu haben, und die Freude sei fast noch größer als vor einem Jahr. Auch die Erleichterung. „Ich habe überhaupt nicht verstanden, dass vorher alle gesagt haben: Es muss schon ein Wunder passieren, dass Federer verliert.“

Von vier großen Endspielen innerhalb eines Jahres hat er vier gewonnen – zweimal Wimbledon, dazwischen im November den Masters Cup in Houston und zu Beginn dieses Jahres die Australian Open –, und schon beim Siegerinterview auf dem Centre Court erklärte er grinsend, diese Erfolgsquote gefalle ihm ziemlich gut. Denn so schön einer spielt, so viel Begeisterung er mit seinen Zauberschlägen auslösen kann – was wirklich zählt, ist die Antwort auf die Frage, ob ein Meister auch dann gewinnen kann, wenn er einen vergleichsweise irdischen Tag erlebt.

Beim zweiten Sieg empfing Wimbledon seinen Champion wieder mit offenen Armen. Aber auch für Andy Roddick, den unglücklichen Verlierer, gab es Wärme und Trost. Dass die beiden, Nummer eins und zwei der Welt, so gute, starke Rivalen werden können wie einst Connors oder McEnroe und Borg, wie danach Becker und Edberg, hoffen alle, die Tennis mögen. „Damit es eine richtige Rivalität mit Roger und mir werden kann, wär’s nicht schlecht, wenn ich auch mal gewinne“, meinte Roddick. Von sieben Spielen gegen Federer hat er sechs verloren – da ist es Zeit für ein paar frische Gedanken. Roddick sagt, daheim in Austin/Texas liege ein Boot, das seinen Namen rufe. Den Sieger ruft die Schweiz. Zum Turnier in Gstaad. Federer freut sich auf eine Feier im Kreise der Freunde und hofft inständig, dass man ihm nicht noch eine Kuh schenken wird.

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