Israels Mütter sanieren Wirtschaft

Wegen Rekorddefizits drastischer Sparkurs: Kürzungen beim Kindergeld, beider Sozialhilfe, bei den Beamten und bei Steuererleichterungen für die Siedler

„Wer 200 Kilometer läuft, kann auch arbeiten“, kommentierte der Finanzminister

JERUSALEM taz ■ Es war eine spontane Idee, die ihr beim Telefonieren mit einer Freundin kam: Ein Protestmarsch nach Jerusalem gegen die Anfang Juli in Kraft getretenen Sparmaßnahmen von Finanzminister Benjamin Netanjahu. Gut eine Woche brauchte Vicky Knafo, 43 Jahre alt, zweimal geschieden und heute allein stehende Mutter von vier Kindern, von der Wüstenstadt Mizpe Ramon zum gewünschten Ziel.

Seither vergeht kaum eine Nachrichtensendung, in der sie nicht entweder selbst zu Wort kommt oder mit ihrer für die inzwischen gut ein Dutzend protestierenden Mütter vor der Knesset, dem israelischen Parlament errichteten kleinen Zeltstadt doch wenigstens Erwähnung findet.

Die israelische Presse gibt sich weitgehend solidarisch mit der zu einer Art Stimme des Volkes avancierten Vicky. Laut Umfragen zufolge unterstützen fast 70 Prozent der Bevölkerung ihren Kampf. Einzig Top-Entertainer Dudu Topas wagte es, die „Das-steht mir zu“-Mentalität zu kritisieren, die vor allem unter den orientalischen Juden herrsche.

Netanjahu musste mit Protest gerechnet haben, als er mit seinem ehrgeizigen Plan die marode Wirtschaft im Land wieder auf die Beine zu stellen und das Defizit mit Einsparungen in Höhe von 11 Milliarden Schekel – ungefähr 2,2 Milliarden Euro – einzudämmen, an die Öffentlichkeit ging. Das Finanzministerium rechnet für das laufende Jahr mit einem Rekordhaushaltsdefizit von über 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der Staatsminister für Finanzen, Meir Schitrit, warnte: „Der Schritt zwischen unserer jetzigen Lage und dem völligen Zusammenbruch ist nicht groß.“ Die israelische Wirtschaft befindet sich bereits im dritten Jahr mit negativem Wirtschaftswachstum.

Kaum einer bleibt von den Sparmaßnahmen verschont, selbst der Staatspräsident muss rund 10 Prozent seiner Einnahmen für den „Antrieb zum Aufschwung“ – so der neue Posten auf dem Gehaltszettel – abgeben. Neben den Beamten sind Sozialhilfe- und Kindergeldempfänger betroffen sowie die Bewohner von Regionen, in denen bislang Steuervergünstigungen gelten.

Zwischen 1,7 und 17 Prozent, je nach Einkommensklasse, müssen die Staatsbediensteten von ihrem Bruttogehalt abziehen, allerdings nur bis zum Juni 2005, dann sollen die Kürzungen wieder aufgehoben werden. Bei insgesamt rund 500.000 Beamten will Netanjahu in zwei Jahren umgerechnet knapp eine Milliarde Euro allein im öffentlichen Sektor einsparen. Wenn jetzt am Anfang des Monats August die ersten Gehaltszettel nach Beginn der Reform ausgehändigt werden, mögen die Beamten die Kürzungen noch nicht so krass zu spüren bekommen, wie in den kommenden Monaten, denn Anfang August ist Zahltag für den jährliche Kleidungsbonus.

Die Steuervergünstigungen für Ortschaften in der Peripherie und für die jüdischen Siedlungen im Palästinensergebiet werden ebenfalls ab dem 1. August dramatisch reduziert, wenn nicht komplett gestrichen. Die Kürzungen sind ähnlich wie im öffentlichen Sektor prozentual an das Einkommen gebunden und belaufen sich auf bis zu einige tausend Schekel.

Allein kinderreiche Familien genießen noch eine kurze Galgenfrist. Sie bekommen die Haushaltsreform erst am 20. August zu spüren, dem Zahltag für das Kindergeld. Die Eltern von fünf Kindern müssen dann künftig mit knapp einem Viertel weniger Kindergeld auskommen, was umgerechnet etwa 100 Euro ausmacht. Zusätzlich zu den Kürzungen kommen Mehrausgaben für die Gesundheitsversorgung auf die Bevölkerung zu. Noch nicht vom Parlament abgesegnet ist zudem die Hochsetzung des Rentenalters auf 67 Jahre für beide Geschlechter.

Für Vicky Knafo bedeutet Netanjahus Reformplan konkret den Verlust von umgerechnet 250 Euro, knapp die Hälfte ihres bisherigen Monatseinkommens, das sich aus staatlicher Unterstützung und ihrer Teilzeitarbeit als Köchin in einem Kindergarten zusammensetzt. „Wer 200 Kilometer läuft, der kann auch arbeiten“, kommentierte der Finanzminister ihren Protest und machte sich an einen Zusatzplan, der ab sofort „mehrarbeitenden Frauen“ einen Bonus garantiert.

Die landesweit insgesamt 53.000 allein stehenden Mütter würden, wenn es ihnen gelingt, ihre bisherigen Einnahmen um ein Drittel zu steigern, jährlich mit je 9.000 Schekel – also rund 1.900 Euro – aus der Staatskasse belohnt werden. Wenig Trost für Vicky Knafo und ihre Freundinnen, die auch ohne Bonus schon mal nach Arbeit gesucht haben, dabei bislang jedoch erfolglos blieben. SUSANNE KNAUL