Muss Ottokles her ?

JA
Ja, Otto Rehhagel muss wieder nach Deutschland. Nur er hat den Mut, sich mit allgewaltigen Clubfunktionären anzulegen, und die Arroganz, die nun einmal zum Siegen nötig ist. Beides hat er in Griechenland bewiesen.

Es ist noch keine vier Jahre her, da lag der deutsche Fußball derart am Boden, dass sich eine so genannte Task Force aus Vertretern des Bundesliga und des Deutschen Fußballbunds (DFB) gemeinsam aufmachte, einen Nachfolger für Erich Ribbeck zu finden, die größte Fehlbesetzung für die Rolle des Bundestrainers, die es je gegeben hat. Christoph Daum, der damals Auserwählte, war noch unter Vertrag bei Bayer Leverkusen. Deshalb sollte für ein Jahr Rudi Völler den Mann auf der Bank geben. Nachdem Bayern-Manager Uli Hoeneß den von ihm ungeliebten Daum erfolgreich als Schneemann enttarnt hatte, wurde Völler fest als Teamchef installiert. Er war ein Kompromisskandidat. Einer, der allen irgendwie sympathisch war, ein Ankommer. Mit ihm konnten alle leben. Auch die zerstrittenen Manager der diversen Bundesligaclubs, die auch als Mitglieder der Task Force mehr an ihre Clubs als an die Nationalmannschaft dachten.

Aus Portugal vernehmen wir nun die Kunde, dass es einen Trainer gibt, der es tatsächlich geschafft hat, die im griechischen Vereinsfußball so mächtigen Clubfunktionäre aus dem Dunstkreis der Nationalmannschaft zu verbannen. Otto Rehhagel hat aufgeräumt, im griechischen Fußballchaos Ordnung geschaffen. Der Mann im Rentenalter hatte keine Scheu, sich mit ehemals allmächtigen Funktionären anzulegen. Genau das ist – neben anderen – die Eigenschaft, die ihn am ehesten als für den Posten auch des deutschen Nationaltrainers prädestiniert erscheinen lässt. Die Verletzungen, die viele Nationalspieler vorgetäuscht haben, um nicht an irgendwelchen Testspielen teilnehmen zu müssen, waren oft am nächsten Bundesligaspieltag wie weggeblasen. Zufall? Otto Rehhagel ist arrogant genug, es einfach zu ignorieren, wenn ein Herr Hoeneß über die ach so großen Belastungen seiner Stars jammert.

Rehhagels Art, Fußball spielen zu lassen, wurde vor Beginn der EM an belächelt. Inzwischen würden viele Experten ihre Aussage, dass moderner Fußball nur mit einer Viererkette funktioniert, am liebsten ungeschehen machen. Dass König Otto jetzt nur ein müdes Lächeln für diese Art von Kritik übrig hat, zeugt übrigens auch von jener Arroganz, ohne die ein Übungsleiter nicht zum Erfolgstrainer werden kann. Seine Mannschaften schöpfen daraus Selbstvertrauen. Die Griechen haben bei der EM beinahe alle Favoriten eliminiert – mit einer Selbstverständlichkeit, die nicht selten an Arroganz erinnert hat. Die Arroganz dessen, der sich seiner Stärke bewusst ist.

Diese Arroganz hat dem deutschen Fußball in den letzten Jahren gefehlt. Das WM-Zwischenhoch mit Siegen gegen Fußballriesen wie Südkorea oder die USA hat nur kurz verdecken können, dass sich nicht viel getan hat in den letzten vier Jahren. Der deutsche Fußball ist da angekommen, wo der griechische stand, als Otto Rehhagel vor drei Jahren sein Amt bei den Hellenen antrat: ziemlich weit unten. Wer könnte Fußballdeutschland also besser aus dem Tal der Tränen holen als ebenjener Rehhagel, der Aufsteigertyp?

Mit dem Aufsteigen kennt er sich aus. Für den gelernten Maler gibt es beim Betreten eines großen Schauspielhauses keine Hemmschwelle, er hat sich angelesen, was ihm in der Schule keiner beigebracht hat. Wenn studierte Journalisten sich über ihn als intellektuellen Parvenü lustig machen, winkt Otto Rehhagel nur noch ab. Er ist mit sich selbst im Reinen. Auch das mag arrogant wirken, wahrscheinlich aber ist es hilfreich, wenn es darum geht, das Amt eines Bundestrainers zu bekleiden.

Sportlich ist Rehhagel ohnehin ein Aufsteigertyp. Vom Otto Torhagel, über den sich alle lustig gemacht haben, weil die von ihm betreute Borussia aus Dortmund einmal 0:12 gegen Mönchengladbach verloren hat, über den ewigen Vizemeister Otto II. ist er zum absoluten Erfolgstrainer geworden.

Zwei Jahre hätte Rehhagel Zeit, aus der daniederliegenden Nationalmannschaft ein Weltmeisterteam zu machen. Bei der WM 2006 braucht das Gastgeberland eine konkurrenzfähige Mannschaft. Es kann jetzt nicht darum gehen, ein neues Team aufzubauen, das alle andere Nationen an die Wand spielen könnte. Es geht darum, ein Erfolgsteam zu formen, eines, das die Arroganz besitzt, zu sagen: Klar werden wir Weltmeister – wer sonst?

Andreas Rüttenauer

NEIN
Nein! Lasst Rehhagel den Griechen! Das Hellenen-Wunder kann er mit seinem altmodischen Fußball bei uns nicht wiederholen. Rehhagel ist einer Trainer für die Kleinen, nicht für die, die groß sind oder sich auch nur – wie die Deutschen – für groß halten.

Und jetzt? Jetzt scheint alles plötzlich doch noch ganz einfach geworden für den deutschen Fußball, oder besser gesagt: für das, was davon nach dieser EM noch übrig geblieben ist. Schließlich müssen die alten Männer vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) nun nur noch den alten Mann aus Essen zum neuen Bundestrainer machen – der dann mit seinem alten Fußball Deutschland zum Weltmeister macht. Zwei Jahre hätte Otto Rehhagel dafür Zeit, ein Kinderspiel für einen Trainerkönig, der nur unwesentlich länger gebraucht hat, um selbst ein bisher nicht eben als Fußballriese auffällig gewordenes Land wie Griechenland zum kontinentalen Champion zu formen. Also: Tatsächlich Otto for Rudi, wie es nun, kräftig dirigiert von Bild, durchs Fußballland schalmeit?

Bloß nicht! Es wäre mit Abstand das Senilste, was die DFB-Greise beschließen könnten. Denn auch wenn Rehhagel mit seinen Griechen nun einen ebenso großen wie wundersamen wie unbestreitbaren Erfolg gefeiert hat – es gibt nicht das geringste Anzeichen dafür, dass ihm dies auch mit der deutschen Nationalmannschaft gelingen könnte. Dass der 65-Jährige den Fußball hierzulande – und dies müsste allemal das Hauptanliegen des neuen Bundestrainers sein – konzeptionell nach vorne bringen könnte, also taktisch wie spielerisch, ist völlig ausgeschlossen. Rehhagel lässt seit je Rehhagel-Fußball spielen: hinten dicht machen – und nach vorne den lieben Gott schalten und walten lassen. Was anderes kennt er nicht, und auch dass er das schamhaft hinter Floskeln wie „Modern ist, wer gewinnt“ zu verstecken sucht, macht sein Werk nicht zeitgemäßer.

Zugegeben: Die Griechen sind mit dieser durchaus altdeutschen Art, Fußball spielen zu lassen, Europameister geworden. Und sie haben auf dem Weg dorthin Mannschaften geschlagen, die man für ihr atemberaubend schnelles und modernes, auf jeden Fall besseres Spiel bisher immer bewundert hat. Doch selbst das verleiht dem ehemaligen Verteidiger nicht die Eignung für den Bundestrainerjob. Ganz im Gegenteil: Gerade weil das System Rehhagel schon immer so – und nur so – funktioniert hat, erscheint es für die deutsche Nationalmannschaft durch und durch untauglich. Rehhagel feierte seine Erfolge stets mit den Kleinen, den Niemanden des Fußballs, für die es immer nur eine Chance gab: Rehhagel. Wer mit ihm arbeitete – was bei Rehhagel stets ein „unter ihm“ bedeutete – musste sich ihm beinahe willenlos ausliefern, zum Lohn machte er die fußballerischen und taktischen Defizite zunichte mit seinem ewigen Credo von Kampf und Leidenschaft, die alle Taktik und Technik dieser Welt wettmachen könnten. Rehhagels größte Stärke war es schon immer, die ihm anvertrauten Teams größer und stärker zu reden, als sie eigentlich waren, auch wenn er sich dabei bisweilen deutlich im Ton vergriff. Werder Bremen hat er so zu Meistern gemacht, ebenso Kaiserslautern – und nun eben auch die Griechen.

Griechenland sei plötzlich Werder, hat dieser Tage einer geschrieben – und das stimmt, wenn auch nicht geografisch. Das Problem aber ist, dass Fußballdeutschland sich noch immer nicht für Griechenland hält, sondern, sagen wir mal: für Bayern München, also für die große, weite Fußballwelt. In München, wo Rehhagel vor neun Jahren kurz mal den großen Trainer von Welt mimen durfte, haben die seltsamen Methoden des Otto R. freilich von Anfang an nicht gegriffen. Und man kann sich gut vorstellen, wie schallend die ganzen Bayern-Millionäre gelacht haben, wenn Rehhagel zur Einstimmung auf ein Spiel eine Kabinenansprache hielt wie diese: „Meine Herren, passen Sie mir bloß auf den Herrn Akpoborie auf, Sie wissen ja, die Neger wollen uns die Arbeitsplätze wegnehmen.“

Mag sein, dass dem bisherigenDFB-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder solche Einlassungen gefallen, schließlich hat er ausreichend bewiesen, selbst nicht frei von solcherlei Gedankengut zu sein. Andererseits und in Bezug auf die Bundestrainerfrage mutet ein solcher Satz doch mehr als seltsam an. Umso mehr, als ein durchaus geeigneterer Kandidat für moralisch untragbar erklärt wurde, weil er das deutsche Volk im Unklaren über seine Kokainsucht gelassen hatte. Fachlich, das steht außer Frage, wäre Christoph Daum allemal der weitaus bessere Bundestrainer. Außerdem darf nicht vergessen werden, dass es damals ausgerechnet der Neger Akpoborie war, der für Hansa Rostock den Siegtreffer gegen die Bayern erzielte.

Frank Ketterer