Das Volksgeld wird zum Dollar

aus Peking GEORG BLUME

Sie besitzen Turnschuhe aus China, aber haben Sie je chinesisches „Volksgeld“ zwischen den Fingern gehalten? Vermutlich halten Sie das für eine wertlose Ostwährung und kennen nicht mal ihren Namen: Chinas Währung nennt sich „Renminbi“ und wird in „Yuan“ gezählt.

Bisher war es außer für eine Chinareise nicht nötig, sich das zu merken. Doch in diesem Sommer zeichnet sich eine kopernikanische Wende im Weltwährungssystem ab: Zum ersten Mal in der modernen Wirtschaftsgeschichte erregen sich die großen Industriemächte – die EU, die USA und Japan – über den Umtauschkurs des Yuan und verlangen dessen Aufwertung.

Das ist kein Sommertheater. Die Empörung reicht vom amerikanischen Finanzminister über den deutschen Bundeskanzler bis zu den Notenbankchefs in Washington und Brüssel. Es sei offensichtlich, dass China seinen Wechselkurs freigeben müsse, blafft der mächtigste Bankier der Welt, Alan Greenspan. Sein EU-Kollege Wim Duisenberg meint sogar, dass die Dollarbindung des Yuan eine der größten Gefahren für die Weltwirtschaft sei. Kein Wunder, dass den Kommunisten in Peking die Augen glänzen: Wenn jetzt auch Greenspan und Duisenberg auf sie schimpfen, bedeutet das, dass der Westen China wirklich ernst nimmt.

Marco Polos Erkenntnis

Von wegen gelbe Gefahr. Sofern es ums Geld ging, sank Chinas Kurs seit Beginn des Industriezeitalters vor 200 Jahren. Ob kaiserlicher Tael oder kommunistischer Yuan – ihr Kurs war für westliche Bankiers stets so wichtig, wie wenn in China ein Sack Reis umfiel. Nur ganz früher blickten auch die reichsten Europäer ehrfurchtsvoll gen Osten: „Alle Völker des Reiches empfangen das Papiergeld gern“, berichtete einst Marco Polo von der kaiserlichen Münzstätte in Peking. „Aber stellt euch vor: Ein Zehner-Byzantiner-Schein ist nicht einmal so schwer wie ein einziger Byzantiner-Dukaten“. Das waren die Zeiten, in denen man im Westen nicht einmal den Papier- geschweige denn den Gelddruck beherrschte.

Insofern hat China viel an Währungsprestige zurückzuerobern. Zumal es gar nicht so lange her ist, als man Ausländern in der Volksrepublik noch ganz andere Scheine in die Hand drückte: „Foreign exchange currency“ nannte sich das Sondergeld, mit dem man von 1980 bis 1995 in „Freundschaftsläden“ Budweiser-Bier und Bahlsen-Kekse kaufen konnte. Damals folgte jedem Westtouristen ein Schwarztauscher – obwohl der Yuan schon seit 1994 im bis heute gültigen Verhältnis von 8,276–8,280:1 an den Dollar gekoppelt ist.

„Früher lag der Schwarzkurs bei 9:1 oder 10:1“, erinnert sich der Pekinger Druckereibesitzer Bi Zhun. Mit seinen 30 Angestellten vertritt Bi den Typ des durch Tüchtigkeit zu Geld Gekommenen. „Aber heute gibt es keinen Unterschied mehr zwischen offiziellen und Schwarzmarktkurs“, sagt er. „Vielleicht wird der Schwarzmarktkurs sogar bald auf 7:1 fallen. Das Vertrauen der Bevölkerung in den Renminbi wächst ständig.“

Teppiche, Drogen, BMW

So geht es nicht nur den Chinesen. Ausgerechnet in Vietnam, wo der große Nachbar sonst eher Anstoß erweckt, ist der Yuan heute auf Schwarzmärkten ein beliebtes Zahlmittel. Dasselbe lässt sich für die Grenzgebiete zu den übrigen 14 Nachbarländern Chinas sagen: Vom burmesischen Drogenhändler über den afghanischen Teppichverkäufer bis zum russischen BMW-Lieferanten – alle lassen sich gern in Yuan bezahlen.

In Hongkong, das über eine eigene an den Dollar gebundene Währung verfügt, gibt es Yuan sogar schon auf Wunsch im Geldautomaten. Derweil sich die Hotelbranche in Thailand längst auf in Renminbi zahlende chinesische Touristen eingestellt hat. „Der Gebrauch des Renminbi als harte Währung außerhalb Chinas nimmt zu und ist das erste Zeichen für die potenzielle Rolle des ‚Volksgeldes‘ als Währung für ganz Asien“, schlussfolgert das seriöse Hongkonger Nachrichten-Magazin Far Eastern Economic Review. Schon gilt der Yuan als neuer „asiatischer Dollar“.

Der Aufstieg des Renminbi war nicht leicht vorauszusehen. Noch vor wenigen Jahren, als mit der Asienkrise von 1997/98 eine gewaltige Kapitalflucht aus Asien Richtung Amerika einsetzte, stand auch die chinesische Währung unter erheblichem Abwertungsdruck. Das war der Moment, in dem Peking das erste Mal währungspolitisch von sich reden machte. Denn statt dem Abwertungstrend zu folgen, hielt der damalige Premierminister Zhu Rongji am Zielkorridor zum Dollar fest. Er verhinderte damit eine Abwertungsspirale, die Asien noch tiefer in die Krise gezogen hätte, und verschaffte damit seinem Land den Ruf eines verantwortungsvollen Wirtschaftspartners.

Dieses Ansehen scheint Peking nun wieder zu verspielen. Von allen Seiten klingt es, China sei schuld an den „Ungleichgewichten der Weltwirtschaft“ (FAZ), bedrohe den „globalen Aufschwung“ (Business Week), werde zur „Gefahr neuer Prägung für die Industrieländer“ (Handelsblatt). Kein Tag vergeht, an dem westlichen Politiker und Journalisten nicht mit Schrecken an den chinesischen Handelsüberschuss erinnern: 103 Milliarden Dollar mit den USA und 40 Milliarden Dollar mit der EU betrug er jeweils im vergangenen Jahr. Damit vernichte China amerikanische Arbeitsplätze, wie vier US-Senatoren in einem Brief an den Finanzminister warnen, oder löse eine „Welle des Protektionismus“ aus, wie EU-Kommissionschef Romano Prodi prophezeit. Nicht einmal die Tatsache, dass die Volksrepublik vor allem minderwertige Ware wie Hemden und Turnschuhe exportiert, kann trösten. Stattdessen werden Erinnerungen an die japanischen „Transistorradioverkäufer“ (De Gaulle) wach: Hatte der Westen die nicht auch sträflich unterschätzt?

Im Prinzip sind Sorgen durchaus gerechtfertigt. Im Jahr 1881 löste einst Amerika das britische Königreich als „größte Fabrik der Welt“ ab, seit 1979 liefen dann in Japan mehr Fabriken als in den USA, bis im vergangenen Jahr zum ersten Mal China das Land mit den meisten Fabriken der Welt war. Das berichtet die US-Investmentbank Merril Lynch und daran dürfte sich bis in die ferne Zukunft nichts mehr ändern. Warum aber will Greenspan dem historischen Trend ausgerechnet währungspolitisch begegnen?

Yuan ist nicht gleich Yen

Schon einmal war die Lage ähnlich. Wie unter der Aufrüstungspolitik von Ronald Reagan in der 80er-Jahren fahren die USA auch heute wieder ein riesiges Leistungsdefizit ein. Wie unter Reagan sinkt deshalb der Dollar. Damals war der japansche Yen noch halbwegs an den Dollar gekoppelt, heute ist es der Yuan, der mit dem Dollar sinkt. Daher sprechen westliche Kritiker von einer „künstlichen Unterbewertung“ des Yuans und nehmen Chinas steigende Devisenreserven von 340 Milliarden Dollar als Beweis.

Doch Vorsicht: In den 80er-Jahren gab Japan dem Aufwertungsdruck nach, aus Angst vor Exportverlusten und Wirtschaftskrise verfügte die Tokioter Zentralbank daraufhin eine Niedrigzinspolitik, die aufgrund eines unreifen Finanzsystems schnurstracks in jene Spekulationswirtschaft führte, die das Land nun schon seit 10 Jahren in der Krise gefangen hält. China droht heute Ähnliches: Denn wäre der Yuankurs erst frei und würde steigen, wie es sich Greenspan erhofft, stiege der ohnehin ausufernde Investitionsfluss in China mit ihm. Die Exportgewinne blieben im Land und die Zinsen niedrig.

Bei einem noch wesentlich schlechter entwickelten Finanzsystem wie seinerzeit in Japan liefe dies über die Jahre auf finanzpolitischen Selbstmord hinaus. Denn Chinas Börse funktioniert noch nicht und die Banken des Landes sind nicht in der Lage, neues Geld in sinnvolle Bahnen zu lenken. Bisher waren sie reine Kreditdurchlaufanstalten für korrupte Staatsbetriebe und standen bei den Reformen in China an letzter Stelle. Bei ihnen lagern nicht rückzahlungsfähige Kredite in der Höhe von geschätzten 500 Milliarden Dollar.

Peking will deshalb an seiner langsamen, schrittweisen Reformpolitik auch im Finanzbereich festhalten. Vor der Konvertibilität des Yuan muss aus Sicht der kommunistischen Reformer eine umfassende Bankenreform stehen. Die aber wird noch Jahre dauern. Zuvor will man allenfalls den Zielkorridor etwas nach oben verschieben – vorraussichtlich zum Jahresbeginn 2004.

„Von einer harten Währung kann noch keine Rede sein. Dafür gibt es zu viele Probleme im Finanzwesen“, warnt der bodenständige Privatunternehmer Bi Zhun. Bewahren die Kommunisten ihre Vorsicht, sind sie auf dem richtigen Weg zurück in die Vergangenheit. „Nun versteht ihr, warum in keinem Schatzhaus der Welt solch ein Reichtum anwachsen kann wie im Tartarenreich“, berichtete Marco Polo von der kaiserlichen Münzstätte. Wie er könnten in einigen Jahrzehnten auch andere wieder aus Peking berichten.