Viele machen die Regierung für Kellys Tod verantwortlich

Premier Tony Blair hält sich bei kritischen Fragen bedeckt. Schon wird darüber spekuliert, wer als Bauernopfer gehen muss. Auch die BBC ist noch nicht aus dem Schneider

BERLIN taz ■ Tony Blair hat an diesem Wochenende einen Rekord aufgestellt: Keine Labour-Regierung war in der britischen Geschichte so lange an der Macht wie seine. Und sein Machthunger ist offenbar noch lange nicht gestillt: „Es gibt noch viel zu tun, und mir ist der Appetit darauf nicht vergangen“, sagte er. Die Reporter auf der monatlichen Pressekonferenz des Premierministers am Mittwoch waren jedoch eher an seinem Rücktritt interessiert. Ob er seinen Hut nehmen werde, wenn keine Massenvernichtungswaffen im Irak gefunden werden, wollte einer wissen. „Abwarten“, antwortete Blair, „was der Bericht der Experten, die im Irak nach diesen Waffen suchen, zutage bringen wird.“

Er deutete an, dass er über Informationen verfüge, die er aber leider noch nicht öffentlich machen könne. So ähnlich hatte er im Frühjahr argumentiert. Diesmal räumte er lediglich ein, dass die Bevölkerung irgendwann Bescheid wissen müsse, um das Vertrauen in das Kabinett zu sichern. Allzu lange kann er damit aber nicht warten. Umfragen haben ergeben, dass eine Mehrheit der BBC glaubt, die behauptet hatte, Blairs Kommunikationsdirektor Alastair Campbell habe dafür gesorgt, ein Dossier über Iraks Waffen „sexier“ zu machen und die Gefahr zu übertreiben.

Viele machen die Regierung sogar für den Tod David Kellys verantwortlich, von dem die Informationen der BBC über Campbells Verwicklung stammen sollen. Das Verteidigungsministerium soll den Wissenschaftler vier Tage lang erbarmungslos verhört und ihm mit Entlassung, dem Verlust seines Pensionsanspruchs und einer Anklage wegen Geheimnisverrats gedroht haben. An diesem Druck ist Kelly womöglich zerbrochen. Ironischerweise wäre gerade Kelly aufgrund seiner Erfahrung geeignet gewesen, Massenvernichtungswaffen zu finden, falls es sie gibt.

Blair hielt sich in seiner Pressekonferenz auch in diesem Fall lieber bedeckt und verwies die Reporter an die Hutton-Untersuchung. Doch die Fragen werden immer wieder gestellt werden, denn Hutton hat gar nicht den Auftrag, sie alle zu beantworten. Eine breitere Untersuchung hat Blair jedoch abgelehnt.

Seit David Kellys Tod wird in Großbritannien darüber spekuliert, wer am Ende der Affäre geopfert wird. Verteidigungsminsiter Geoff Hoon, dessen Ministerium Kellys Namen an die Presse gab, ist einer der Kandidaten. Die BBC behauptet allerdings, es werde Blairs Chefsprecher Alastair Campbell sein. Er gilt als einer der mächtigsten Labour-Politiker, manche halten ihn gar für einflussreicher als Blair. Andrew Marr, politischer Chefredakteur der BBC, sagte: „Wie die Dinge jetzt stehen, wird Campbell gehen, daran habe ich keinen Zweifel.“ Er werde mit seinem Rücktritt allerdings warten, bis das Ergebnis der Hutton-Untersuchung vorliege, meint Marr, denn sonst sehe es wie ein Schuldeingeständnis aus. Die Regierung tat Marrs Bericht als „Wunschdenken“ ab. Campbells Abschied werde ein radikales Umdenken bei New Labour im Umgang mit den Medien einläuten, glaubt Marr. Campbell, der früher politischer Redakteur des Boulevardblatts Daily Mirror war, berät Blair, seit er Anfang der Neunzigerjahre Labour-Chef wurde. „Das Leben ohne ihn wird ein wenig langweiliger sein“, sagte Marr.

Aber auch die BBC ist noch nicht aus dem Schneider. Andrew Gilligan, der für den BBC-Bericht verantwortlich war, ist beurlaubt. Labour- und Tory-Abgeordnete hatten ihm bei der Vernehmung vor dem Parlamentsausschuss vorgeworfen, die Öffentlichkeit in die Irre geführt zu haben. Das geht aus einem geheimen Vernehmungsprotokoll hervor, das dem Guardian vorliegt.

RALF SOTSCHECK