Kirchen schlagen Siemens-Weg ein

Die Evangelische Kirche in NRW spart an ihren MitarbeiterInnen: Weil immer weniger Menschen Steuern zahlen, sollen sie auf Weihnachtsgeld verzichten und länger arbeiten. Gewerkschaften fordern Tarifverträge wie in der freien Wirtschaft

„Kirche muss wie ein Unternehmen handeln“, sagt ein Sprecher. Allein 2004 nehme sie zehn Prozent weniger ein

von ANNIKA JOERES

Zu Jesu Geburtstag gibt es weniger Geld: Angestellte der evangelischen Kirche in NRW müssen nun damit rechnen, nur noch 50 Prozent ihres Weihnachtsgeldes zu erhalten und 40 Stunden in der Woche zu arbeiten. Auf diese Sparmaßnahmen können kirchliche und diakonische Einrichtungen seit dem 1. Juli zurückgreifen, um so ihre Arbeitsplätze zu retten, so Andreas Duderstedt, Sprecher der Evangelischen Kirche von Westfalen.

Die „arbeitsrechtliche Komission“ der Kirche hat die Maßnahme ausgehandelt. Sie ist ein kircheninternes Gremium, in dem Angestellte und Arbeitgeber zusammen sitzen. Etwa 60.000 Angestellte der Diakonie in NRW sind davon betroffen, SekretärInnen, KüsterInnen, KirchenmusikerInnen, ErzieherInnen. MitarbeiterInnen der Kirche direkt, wie etwa Pfarrstellen, sind nicht betroffen, sie genießen einen beamtenähnlichen Status.

„Wir leiden mehr und mehr unter sinkenden Einnahmen“, sagt Duderstedt. Die Kirche müsse wie ein Unternehmen handeln. Allein in diesem Jahr sei die Kirchensteuer um zehn Prozent zurückgegangen. Nur ein Drittel davon sei auf Austritte zurückzuführen. „Am meisten schmerzen uns die Erwerbslosen und RentnerInnen, die keine Steuern mehr zahlen.“ Jetzt müsse die Kirche den Siemens-Weg einschlagen: „Entweder wir erhalten den Standard und müssen dann kündigen, oder alle bleiben zu schlechteren Bedingungen“, sagt Duderstedt.

Auch die evangelische Kirche Rheinland sieht keinen anderen Weg. Hier gingen die Steuereinnahmen sogar um knapp 13 Prozent zurück. „Wir stellen uns auf die Zukunft ein“, sagt Sprecherin Eva Schüler. Die Steuerschätzungen für die nächsten Jahre seien miserabel. „Wir müssen den Worst-Case annehmen.“ Der prognostiziert für die kommenden Jahre einen Verlust von einem Drittel der SteuerzahlerInnen. Trotzdem glaubt Schüler nicht, dass die Vorschläge der Kommission schnell umgesetzt werden. „Die Kirche ist so sensibel, nur im Notfall die Löhne zu kürzen.“ Erst müssten nach der Sommerpause die Haushaltsberatungen abgeschlossen werden.

Die Gewerkschaften kritisieren die kircheninternen Regelungen. „Die Kirche arbeitet unter wirtschaftlichen Bedingungen, sie muss sich daher auch an Tarifverträge halten“, sagt Sylvia Bühler von Verdi. Die Dienstleistungsgewerkschaft wolle sich nicht an dem „dritten Weg“ der Kirche beteiligen. „Aber wir leiden alle unter ihren Verzichtserklärungen.“ Diese machten mächtig Druck auf die bestehenden Tarife, zum Beispiel im Gesundheitsbereich. Auch die Gewerkschaften müssten manchmal „schmerzhafte Vereinbarungen“ in Notlagen treffen, aber sie würden wenigstens prüfen, ob der Verzicht die Jobs auch wirklich erhalte. „Die Kirche kontrolliert niemand“, sagt Bühler.

Die evangelische Kirche versichert, auch die Einnahmen-Seite erhöhen zu wollen. „Wir senken unsere Schwelle für Neumitglieder“, sagt der Westfale Duderstedt. So sei zum Beispiel die Nacht der offenen Kirchen an Pfingsten ein großer Erfolg gewesen, auch in Zukunft sollten mehr und mehr Gotteshäuser ihre Pforten zu festen Zeiten öffnen und in jeder größeren Stadt „Wiedereintrittsstellen“ entstehen. Auch im Rheinland sollen die Schäfchen wieder kommen: „Die örtlichen Kirchen müssen sich was einfallen lassen“, sagt Schüler.