Steil-Pass in die Armut

42.000 Bezieher von Arbeitslosenhilfe in Hamburg werden zum Sozialfall. Dank Hartz IV drohen Ein- bis Zwei-Euro-Jobs und amtliche Neugier: Ab Mitte Juli versenden Arbeitsagentur und Sozialämter Fragebögen an 130.000 Hamburger

von EVA WEIKERT

Jetzt wird es ernst. In der Hamburger Arbeitsagentur sind die Vorbereitungen zur Umsetzung des neuen Arbeitsmarktgesetzes Hartz IV in vollem Gange. Ab 19. Juli verschickt das frühere Arbeitsamt massenweise Fragenbögen, mit denen bisherige Arbeitslosenhilfe-Empfänger ihre neue Grundsicherung, das Arbeitslosengeld II (ALG II), beantragen müssen. Rund 42.000 Hamburger werden durch Hartz IV zum Sozialfall. Auch 90.000 Bezieher von Sozialhilfe müssen das ALG II beantragen, zu dem die Stütze mit der Arbeitslosenhilfe fusioniert. Doch für die Sozialämter „existiert offensichtlich kein Konzept, das Volumen arbeitsmäßig aufzufangen“, rügt die GAL und warnt: „Es droht der administrative GAU.“

Die Fragebögen, die bald insgesamt 130.000 Hamburgern ins Haus flattern, „sind so kompliziert, dass auch ich sie kaum verstehe“, verriet gestern Christian Saadhoff, Sprecher der Wirtschaftsbehörde, die seitens der Stadt die Umsetzung von Hartz IV (siehe Kasten) verantwortet. Wer länger als ein Jahr ohne Job ist und Stütze begehrt, muss sich künftig durchleuchten lassen und etwa über Auto- und Grundbesitz sowie Einkommen des Partners Auskunft geben. Weil die Anrechnungsvorschriften für Vermögen verschärft wurden, werden laut Hamburgs Arbeitsagenturchef Rolf Steil bis zu 6.000 der hiesigen Arbeitslosenhilfe-Bezieher nach Inkrafttreten von Hartz IV am 1. Januar gar keine Stütze mehr bekommen.

Eigentlich verspricht Hartz IV aber nicht nur Einsparungen für die Kommunen, sondern auch Verbesserungen bei der Vermittlung und Qualifizierung der ALG-II-Empfänger. „Wir sortieren gerade unsere Maßnahmen-Palette“, so Steil. Pünktlich zum 1. Januar will der Agenturchef seiner Klientel „ein Angebot machen. Der Trend geht zu kurzzeitigen Qualifizierungsmodulen wie Personalserviceagenturen.“

Dem Großteil der künftigen ALG-II-Empfängern bleibt dies Angebot indes verschlossen, wie Steil nicht verhehlt. Die meisten Langzeitarbeitslosen hätten als Ungelernte oder Ältere ohnehin keine Chance auf einen festen Job. „Für sie habe ich eine harte, aber realistische Antwort“, so Steil: „gemeinnützige Arbeit.“ Das sind Jobs für einen oder zwei Euro die Stunde, „für Akademiker in Museen oder Kitas“, erklärt der Direktor, für andere als Straßenfeger oder Unkrautzupfer. Doch sogar die Billigjobs würden „nur ein paar tausend Arbeitslosen nächstes Jahr unterbreitet“, so Steil. Für mehr reicht die vom Bund bezahlte Eingliederungshilfe nämlich nicht, die jährlich nur 8.000 Euro pro Fall zur Verfügung stellt.

Für die Betreuung der ALG-II-Bezieher wollen Stadt und Arbeitsagentur künftig kooperieren. „Wir wollen eine Arbeitsgemeinschaft“, so Wirtschaftsbehörden-Sprecher Saadhoff gestern nach einer Senatsvorbesprechung zum Thema. Die formale Entscheidung stehe aber noch aus. Offen sei auch, wann ihrerseits die Sozialämter mit dem Versenden und Auswerten der Fragebögen beginnen. „Die Zeit ist verdammt knapp“, mahnt Arbeitsagenturchef Steil.

Zur Eile drängt auch die grüne Opposition. Durch die erforderliche Eingabe neuer Daten würden 180.000 zusätzliche Arbeitsstunden in den Sozialämtern nötig, warnt die GAL-Abgeordnete Gudrun Köncke. Eine Antwort des Senats auf eine kleine Anfrage offenbare aber, dass CDU-Wirtschaftssenator Gunnar Uldall „kein Konzept hat, wie er dem zusätzlichen Arbeitsaufwand begegnen will“. Dessen Sprecher Saadhoff kontert: „Es gibt Arbeitsgruppen mit der Arbeitsagentur, und ein ,Letter of Intent‘ ist schon in Vorbereitung.“