berliner szenen Lido di Kanzleramt

Sylt, zuckerfrei

Schön, schöner, am schönsten. So sieht es aus am Bundespressestrand.de, wie der Lido di Kanzleramt offiziell auf einem großen Schild gelabelt ist. Der zur Marke gemachte Berlintrend liegt eingebettet zwischen Beton-Abgeordnetenhaus, LSD-Kita und futuristischer Spreebrücke. Blick über das Funkelwasser der Spree, links zum Reichstag, rechts zur tunnelhaften Hülle des Lehrter Bahnhofs. Frisch gestrichene rote Holzdielen, der Sand geharkt. Büdchen für die leiblichen Genüsse, Liegen für die müden Regierungsleiber und wer sonst noch dabei sein möchte. Ein Strandkorb, das Licht mild und sanft, Gesichter gut gebräunt, Körper umhüllt von Lacoste und verwandt klassischer Bekleidung: willkommen auf Sylt in Berlin. Mit freundlicher Unterstützung vom Postkurier DHL, der die Sonnenschirme und mehr sponsert.

Aber: Es gibt nur ein Kampen. Ikea-Tischchen und Praktikantinnen, die in Thüringer Rostbratwürste beißen, müssen jedem echten Sylt-Kind ein Gräuel sein. Auf der DJ-Kanzel wechselt ein junger Mann die Klassik-CDs. Vor ihm flattern bunte BHs an einem Seil gespannt im Wind. Wer hier ist, hat heute gearbeitet, viel und wichtig, will jetzt am Abend – wenn älter – entspannen und – wenn jünger – Gewinnkontakte für den nächsten Tag knüpfen. Vielleicht auch Aquarellkunst kaufen, die hängt überdimensional an der Wand, mit Internetadresse. Die Frauen sind ins Extreme schön gepflegt, die Männer haben Mercedes-Schlüssel in der Hose. Getrunken wird Grauburgunder und Bier. Und noch eine Runde, während die Sonne ins Wasser sinkt. Hier wird der schöne Tag rund, rundherum im Hamsterrad.

Bis morgen am „Bundes-presse-strand“, schöner, am schönsten, schrecklich. HENNING KOBER