Joblose stützen armes Berlin

Hartz IV lässt Langzeitarbeitslose bluten, füllt aber möglicherweise die Landeskasse: Der Bund kalkuliert mit 300-Millionen-Plus für Berlin. Bislang befürchtete der Senat ein 200-Millionen-Minus

VON STEFAN ALBERTI

Berlin kommt bei Hartz IV offenbar doch nicht in die roten Zahlen. Schätzungen im Mai hatten noch ein Minus von 200 Millionen Euro vorausgesagt. Strittig ist aber, ob Berlin nicht sogar deutlich von dem Bundesgesetz profitiert, das Freitag im Bundesrat verabschiedet wird und hunderttausende ärmer macht. Denn während man auf Bundesebene mit einem 300-Millionen-Plus für Berlin kalkuliert, rechnet Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) mit „plus/minus null“. Kaum Verbesserung bringen hingegen neue Arbeitslosenzahlen: Fast jeder Elfte ist weiter ohne Job. Die PDS forderte erneut ein kommunales Beschäftigungsprogramm.

Sarrazins Finanzverwaltung erklärt die Differenz zu jener 300-Millionen-Summe, die im Vermittlungsausschuss auftauchte, mit einem skeptischeren Ansatz. Es habe sich schon bei angeblichen Steuermehreinnahmen gezeigt, dass ein vorsichtiger Ansatz der richtige sei, sagte Sprecher Matthias Kolbeck. Sarrazin geht davon aus, dass Berlin bei Hartz IV allein bei den Unterkunftskosten 100 Millionen Euro mehr zahlen muss als vom Bund prognostiziert.

Im Bundesrat wird Berlin erwartungsgemäß nicht zustimmen. Die PDS lehnt Hartz IV wie alle anderen Hartz-Gesetze ab, der Koalitionsvertrag mit der SPD sieht für diesen Fall Enthaltung vor. Gleiches gilt für die zweite rot-rote Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern. Für das Gesetz ist das ohne Belang, die nötige Mehrheit steht auch ohne die beiden Länder.

Die SPD hatte dem Vernehmen nach damit argumentiert, der eigentliche Kern von Hartz IV mit den kritisierten Härten für Langzeitarbeitslose sei ja schon beschlossen. Sie habe jedes Hartz-Gesetz abgelehnt und tue das weiter, sagte PDS-Sozialsenatorin Heide Knake-Werner: „Ich könnte es kaum jemandem vermitteln, wenn wir sagen: Das ist nur noch ein technischer Vorgang.“ Bei ihrem Nein geht es der PDS nicht um die grundsätzliche Frage, Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenzulegen, sondern um die Ausgestaltung. Knake-Werner befürchtet große soziale Verwerfungen. PDS-Landes- und Fraktionschef Stefan Liebich erneuerte die Forderung nach kommunalen Beschäftigungsprogrammen. Landesgelder sollen wegfallende Bundesmittel ersetzen. Sarrazin hatte dafür keinen Spielraum gesehen. Liebich mag aber nicht glauben, dass der Finanzsenator mögliche Hartz-IV-Gewinne für Berlin vorerst extra klein rechnen könnte, um die Forderung abzublocken: „Wir fordern das Programm, weil es inhaltlich nötig ist, nicht weil Hartz dafür finanziellen Spielraum bietet.“

Knake-Werner und PDS-Arbeitssenator Harald Wolf werfen der Bundesregierung vor, mit Hartz IV nichts gegen die weiter hohe Arbeitslosigkeit zu tun. Die Quote für Berlin sank zwar von 18,1 Prozent im Juni 2003 auf derzeit 17,6 Prozent. Absolut sind 297.401 Menschen arbeitslos gemeldet, rund 9.500 weniger als vor einem Jahr. Ihnen stehen aber nur 7.600 offene Stellen gegenüber. Es mangele seit Jahren nicht an Vermittlung, sondern an Arbeitsplätzen, sagte Knake-Werner. Öffentliche Förderung ist für sie ein Muss: „Es ist erforderlich, sich zu einem ehrlichen zweiten Arbeitsmarkt hier in Berlin zu bekennen.“