Nach dem Beben

Eine neue Doku-Reihe widmet sich dem unbekannten Nachspiel bekannter Katastrophen – ein Deutscher in Iran („Ein Tag mit Folgen“, 21.40 Uhr, Arte)

VON BAHMAN NIRUMAND

Bam, eine orientalische, märchenhafte Stadt mit einer wunderschönen, zweitausend Jahre alten Zitadelle, diese Stadt verwandelte sich innerhalb weniger Minuten in ein Trümmerfeld. Am Morgen des 26. Dezember 2003 legten mehrere Erdstöße der Stärke 6,5 fast die gesamte Stadt in Schutt und Staub. Das Erdbeben überraschte die meisten der 60.000 Opfer im Schlaf.

Michael Runkel, ein 34-jähriger Reisender aus Nürnberg, weilte in jener Nacht in einem Gästehaus. Er kam mit einer leichten Verletzung davon. Um ihn herum lagen Menschen unter Trümmern. Hier und dort vernahm er Hilferufe. Mit bloßen Händen versuchte er die Trümmer wegzuräumen. „Ich hatte keine Kraft mehr, aber ich musste weitermachen“, sagt er. Zu Hause angekommen, nahm er sich vor, Spenden zu sammeln, nach Bam zurückzukehren und das Gästehaus, mit dessen Besitzer er sich angefreundet hatte, wiederaufzubauen.

Hundert Tage nach der Katastrophe macht er sich mit 150.000 Euro gesammelten Spenden auf den Weg, begleitet von einem Kamerateam, das uns die erschütternden Bilder, die wir längst vergessen haben, noch einmal in Erinnerung ruft. Die Regierung hat angekündigt, Bam wiederaufbauen zu wollen. Vor Ort jedoch deutet nichts darauf hin: 25.000 Wohnungen fehlen. Es wird Jahre dauern, bis man sie gebaut hat, und noch immer hausen Menschen in Zelten. Was aus den Spenden geworden ist, kann niemand genau sagen.

Als sich Michael und Akbar, der Besitzer des Gästehauses, beim Wiedersehen in die Arme fallen, kommen ihnen die Tränen. Akbar hatte zwanzig Mitglieder seiner Verwandtschaft verloren. Er erzählte, wie er unmittelbar nach dem Beben von seiner Wohnung zum Gästehaus eilen wollte. „Ich bin auf die Straße gegangen. Es gab nur noch Schutt und Berge von Trümmern. Ich konnte den Weg zum Gästehaus nicht finden, weil es keinen Weg mehr gab.“ Michaels Mut sei es zu verdanken, dass die meisten Gäste die Katastrophe überlebt hätten, sagte er.

Eine Überlebende beklagte sich, dass die Hilfe viel zu spät gekommen sei. „Viele Leute hätten gerettet werden können, wenn die Hilfe rechtzeitig gekommen wäre“, sagte sie. Es gibt Menschen, die ihre gesamte Verwandtschaft verloren haben. Die Überlebenden haben jede Hoffnung auf ein gesichertes Leben aufgegeben. Keiner hat Arbeit. Landwirtschaft und Viehzucht liegen mangels Wasser brach. Die Zitadelle, ein Weltkulturerbe, und die Altstadt, die viele Touristen anzogen, waren die wichtigste Einnahmequelle für die Bewohner der Stadt.

Noch verheerender sind die psychischen Folgen der Katastrophe. Die Menschen können auch nach sechs Monaten das furchtbare Geschehen immer noch nicht fassen, tausende Kinder haben ihre Eltern und Geschwister verloren. Sie sollen nun im Waisenhaus aufwachsen. Viele von ihnen, erzählt eine Betreuerin, haben erst nach monatelangem Schweigen zu reden begonnen. Viele Erwachsene konnten den Verlust ihrer Nächsten nicht verkraften. Sie sind psychisch total zerstört. Eine Frau sagte, die Verstorbenen hätten es leichter, „sie sind beisammen, während wir in Einsamkeit leben müssen“. Eine andere meinte: „Uns interessiert nicht mehr, ob man für uns Häuser baut. Wir warten nur noch auf den Tod.“

ALLE FOLGEN, immer um 21.35 Uhr:14. Juli 2004: „Rückkehr zum Nationalmuseum in Bagdad“21. Juli 2004: „Der ersehnte Tod des Vincent H.“28. Juli 2004: „Gerd Audehm: Leben ohne Gedächtnis „11. August 2004: „Provence in Flammen“18. August 2004: „Anna Lindh und ihr Mörder“1. September 2004: „Siegfried und Roy: Ein Märchen für Erwachsene“