Klassentreffen bei 35 Grad

Ob im rasselnden Zweitakt-Barkas zu Alex und Schlossplatz oder bei der Zeitzeugen-Diskussion: Der Erinnerung an Ostberlins Weltfestspiele konnte man am Wochenende kaum aus dem Weg gehen

von ANJA MAIER

Das Wetter hat schon mal gepasst. Wie vor 30 Jahren, bei den X. Weltfestspielen in Ostberlin, mussten auch die Gäste und Teilnehmer schwitzen, die die Veranstaltungen der Bundeszentrale für politische Bildung am Wochenende besuchten. Neben Konzerten und Filmen wurden u. a. Podien, Installationen und eine Sommeruni geboten.

Die Agentur Zeit-Reisen hatte sich mit einem besonders lauten Outdoor-Event eingebracht und zuckelte drei Tage lang mit ihrem Barkas durch Berlin-Mitte. Mit 45 PS und einem rasselnden Zweitaktmotor klapperte der B 1000 – im Osten auch Kastenbrot genannt – vom Alexanderplatz über den Schlossplatz, Rosa-Luxemburg- und Strausberger Platz die authentischen Orten des Festivals ab.

Damals, 1973, tummelte sich dort die Jugend der Welt und feierte das als „Rotes Woodstock“ in die kollektive Erinnerung der Ostler und ihrer 25.000 ausländischen Gäste eingegangene Festival. In der Humboldt-Uni fanden Plena statt, das Café Moskau war das Pressezentrum, wo Angela Davis und Jassir Arafat ihre Pressekonferenzen abhielten. Und auf der Solidaritäts-Messe am Fernsehturm wurden 3 Millionen Ostmark sowie jede Menge Blut gespendet für die internationalen Befreiungsbewegungen.

Gekauft werden konnte einiges: Ganz Berlin, von den Kindergartenkindern bis zu den Jugendbrigaden, hatte Bücher, Platten, Selbstgestricktes und -gemaltes zusammengetragen. Zu den bizarren Gaben der vietnamesischen Gäste gehörten Fingerringe und kleine Vasen aus dem Metall abgeschossener US-Bomber. All dies wurde den Fahrgästen vom Zeit-Reisen-Guide erzählt, während die Temperaturen im Bus ins Unermessliche stiegen.

Ebenso heiß war es am Samstag beim Zeitzeugen-Forum im Roten Salon. Da diskutierte – unter der Gesprächsleitung von Bundeszentrale-Chef Thomas Krüger und flankiert von zwei Ostberliner Zeitzeugen – die Westberliner Linke (und Rechte in Person Klaus Landowskys) über ihre Beweggründe, seinerzeit das Festival besucht zu haben. Während Carsten Voigt, damals Leiter der westdeutschen Delegation und heute Beauftragter der Bundesregierung für die Beziehungen zu den USA, erzählte, wie jedes Stück Bewegungs- und Meinungsfreiheit im Vorfeld des Festivals mit der FDJ ausgehandelt worden war, ergötzte sich Klaus-Rüdiger Landowsky an seiner Widerstandsbiografie: Die Junge Union hatte beim Festival Flugblätter verteilt. Landowsky ist noch heute der Meinung, damit das Ende der DDR eingeläutet zu haben.

Einer der beiden Ostler auf dem Podium, der Historiker Stefan Wolle, wiegelte ab und stellte sich der „Orwellisierung der Erinnerungen“ ans Jahr 73 entgegen. Auch Schönes müsse erinnert werden dürfen, und für viele Festivalbesucher seien diese neun Tage schön gewesen. Gleichwohl habe die SED mit ihrer kurzzeitigen Liberalität „an dem Ast gesägt, auf dem sie saß“.

Krüger, der immer aufs Neue auf die sexuelle Aufgeladenheit des Festivals abstellte – in den Parks und Unterkünften hatten sich damals Klassenbrüder und -schwestern freudig vereint – blieb erfolglos. Die Westmänner-Runde – bestehend aus Voigt, dem SPD-Abgeordneten Klaus Uwe Benneter, Landowsky und dem Journalisten Manfred Rexin – versicherte einander lieber ihrer damals wie heute ideologischen Standhaftigkeit und erfreute sich und das Publikum mit Dönekens von überlisteten Stasi-Leuten und dem mit Westgeld erschlichenen Zutritt zum Tanzcafé „Melodie“ in der Friedrichstraße. Ein munteres Klassentreffen bei 35 Grad.