Ein friedliches Klein-Liberia

Hunderttausende Liberianer sind vor dem Bürgerkrieg aus ihrer Heimat geflohen. Das Flüchtlingslager Buduburam in einem Vorort der ghanaischen Hauptstadt Accra gilt als eines der größten. Heute gleicht es eher einer Kleinstadt als einem Camp

aus Accra HAKEEM JIMO

Die Flüchtlinge wollen diesen Tag nicht groß feiern – aus Respekt vor den Not leidenden Landsleuten in der liberianischen Heimat. In den vergangenen Wochen kamen jeden Tag Meldungen von schweren Kämpfen in Liberia. Auch an diesem Tag erwartet man schlimme Nachrichten. Die Vorahnung der Bewohner des Flüchtlingslagers Buduburam in Ghana sollte sich bestätigen.

Es ist der letzte Samstag im vergangenen Monat. Der 26. Juli markiert den 156. Jahrestag der Unabhängigkeit Liberias von der ehemaligen Kolonialmacht USA seit 1847. Liberia gilt als älteste Republik Afrikas – gegründet von freigelassenen Sklaven aus Amerika.

An diesem Tag ziehen keine Kapellen durch die unbefestigten Straßen des Lagers. Und liberianische Flaggen mit den rot-weißen Streifen und einem Stern werden nicht gehisst. Handwerkerschuppen sind verrammelt. Andere Geschäfte haben offen: Kleinkioske und die unzähligen Video-Kinobuden. Die meisten Bewohner von Buduburam gehen auch an diesem offiziellen Feiertag alltäglichen Aufgaben nach. Mädchen hängen Wäsche auf, Frauen bieten Imbisse in Bauchläden an und Männer sitzen unter den vielen Bäumen.

Auch die Rebellen in der Heimat machen weiter wie sonst auch: Am Morgen um halb zehn explodiert eine ihrer Granaten in einer Kirche in der Hauptstadt Monrovia. Als die Nachricht Buduburam erreicht, dass bei diesem Angriff sechs Menschen getötet wurden, schütteln die Menschen ungläubig die Köpfe. „Selbst am Unabhängigkeitstag müssen wir sterben“, sagt eine Frau, die fritierten Fisch verkauft. Sie heißt Antoinette Namgbe. Seit zwei Jahren lebt die Mutter zweier Kleinkinder im Lager. Ihre Kinder kamen noch in Liberia zur Welt. Viele Kinder und Jugendliche sind schon in dem dreizehn Jahre alten Camp geboren und kennen ihre vermeintliche Heimat nur aus Erzählungen oder Liedern.

Antoinettes Mann blieb in Monrovia zurück. In Liberia studierte die Anfang 30-Jährige Betriebwirtschaftslehre. Als Flüchtling in Ghana kann sie ihr Studium nicht fortsetzen. Es fehlt ihr an Geld. Die Frauen in den Lagern können nur ein wenig verdienen, in dem sie Lebensmittel, Essen oder kleine Haushaltsartikel verkaufen. Einige Männer verrichten Auftragsarbeiten oder haben einen Getränke- oder Gemischtwarenladen. Wenige haben eine feste Anstellung gefunden. Viele kommen nur mit Überweisungen von Freunden und Verwandten aus dem Ausland über die Runden.

Buduburam liegt rund 30 Kilometer westlich der ghanaischen Hauptstadt Accra. Vor einem Jahr lebten hier knapp 30.000 Flüchtlinge. Aber seit der Krise im Nachbarland Elfenbeinküste vor einem Jahr mussten viele dort ansässige liberianische Flüchtlinge weiterziehen und kamen nach Ghana. Und mit den jüngsten Kämpfen in Liberia stieg die Zahl der Bewohner von Buduburam auf über 40.000.

Im Jahr 2000 überließ das Flüchtlingshilfwerk der UNO (UNHCR) dem Camp die gesamte Selbstverwaltung. Denn die Lage in Liberia hatte sich Ende der 90er-Jahre zunächst stabilisiert. Tausende Flüchtlinge kehrten in die Heimat zurück. Die meisten jedoch waren skeptisch und blieben in Ghana. Dafür nahmen sie auch den Abzug des UNHCR in Kauf. Danach verschlechterten sich die Lebensbedingungen weiter: Müllberge türmten sich auf, sanitäre Anlagen verrotteten, die Kriminalität nahm zu.

Angesichts der Ankunft weiterer Flüchtlinge im Zuge des erneuten Auflammens des Bürgerkriegs und der sich verschlechternden Lebensbedingungen entschied sich der UNHCR für ein neuerliches Engagement. Damit änderte sich auch die Strategie. An die Stelle von individuellem Beistand für Flüchtlinge trat nun Unterstützung von Gemeinschaftseinrichtungen. So organisierten sich Selbstverwaltungsgruppen und Bürgerinitiativen wie der „Liberianische Wohlfahrtsrat“ und die „Liberianische Flüchtlingsfrauen-Organisation“, die Ausbildungsangebote, Kinder- und Waisenbetreuung, HIV-Beratung, psychologische Betreuung, Abfallentsorgung, eine Kindertanzgruppe und vieles mehr ins Leben riefen. Das verbesserte die Lebensverhältnisse spürbar.

Thomas Albrecht leitet seit zwei Jahren die Ghana-Niederlassung des UNHCR und ist auch für das Flüchtlingslager Buduburam verantwortlich. „Über die Jahre hinweg haben viele der liberianischen Flüchtlinge selber die Initiative ergriffen. Sie halfen beim Entstehen von Schulen und einer Klinik und haben sich kleine Häuschen und Läden gebaut – und ungefähr 80 Kirchen. Man kann Buduburam eigentlich nicht mehr Lager nennen – eher eine Kleinstadt“, sagt Albrecht.

Antoinette Namgbe ist am heutigen Unabhängigkeitstag unsicher, was sie und Liberia in der Zukunft erwartet. Feiern mag sie nicht. Aber sie freut sich über die Attraktion für die Jugendlichen auf dem Sportplatz des Lagers: ein Basketballturnier mit dröhnender HipHop-Musik aus den USA.