DAX ist 15 Jahre alt

Die Zahl der Aktionäre ist im vergangenen Jahr in Deutschland erneut gesunken. Die Zahl der Aktiengesellschaften hingegen stieg 2003 auf ein Allzeithoch von 15.000 Unternehmen

Eine Art „Aktientest“ soll eine unabhängige Bewertung vornehmen

Der Deutsche Aktienindex DAX feierte dieser Tage Geburtstag. Nein, nicht mittelalte 50 Jahre, nicht gute 30, sondern gerade mal jugendliche 15 Jahre ist diese auch Nichtbörsianern bestens bekannte Auflistung der größten börsennotierten Unternehmen alt: Im Juli 1988 erblickte er das Licht der Börsenwelt.

Für Verwirrungen bei der Alterseinschätzung sorgt vor allem immer wieder, dass in Marketingstrategien für die börsennotierten Handelspapiere gern auf die mutmaßliche Entwicklung von Aktien im DAX, etwa gegenüber herkömmlichen Spareinlagen, hingewiesen wird. Denn auch mit Renditevergleichen bringt man das Produkt Aktie unter die Leute. Dabei beruhen die vermeintlichen Gewinnprozente lediglich auf Hochrechnungen, genauer: auf der Rückberechnung der Aktienstände. So zeigt man etwa beim Deutschen Aktieninstitut (DAI) „plastisch die langfristige Entwicklung der Aktienanlage“ in DAX-Werten: Wer seit 1948 in die 30 größten deutschen Aktien investiert habe, lag „mit dieser Anlage überwiegend im positiven Bereich, oft mit Renditen von 10 Prozent oder mehr“. Aktien und Börsen gab es auch Mitte vergangenen Jahrhunderts, den DAX gleichwohl noch nicht.

Gleichviel: Der Index startete – wie bei neuen Indizes üblich – mit 1.000 Punkten und brachte in den letzten mehr als ein Dutzend Jahren seines Bestehens mit den damit einhergehenden Ups und Downs ebenso zahlreiche brave Anleger um den Schlaf, wie er anderen zu ungeahntem Reichtum verhalf. Eine ganze Reihe von einst großen Namen ist heute allerdings ebenso aus dem Gedächtnis wie vom Kurszettel getilgt, etwa Hoechst (heute Fresenius), Veba (heute Eon), Bayerische Vereinsbank (Hypo- und Vereinsbank), Feldmühle Nobel (Metallgesellschaft, dann ab 1996 Deutsche Telekom), Nixdorf (Preussag), Viag (Infineon) oder Kaufhof (Metro), um nur einige zu nennen.

Das Allzeithoch des DAX ist noch gar nicht so lange her: Im März 2000 bezwang er die 8.000er-Hürde. Doch jenes Jahr war geprägt von Fantasterei und falschen Versprechungen. Skandale am damals noch existierenden Neuen Markt wurden öffentlich, zudem kriselte bereits die Weltwirtschaft, der Traum von der „Volksaktie“ als vermögensbildender Maßnahme oder zur Altersvorsorge der Deutschen zerplatzte innerhalb weniger Wochen. Der Anschlag vom 11. September 2001 gab dann vielen Kursen nochmals einen Drall nach unten – die Investoren schleppten ihre Wertpapiere gleich säckeweise aufs Börsenparkett. Die Preise der Aktien – ein DAX-Indikator – neigten nicht nur tendenziell zum Verfall, sondern gingen regelrecht in den Keller. Und wer hoch steigt, fällt besonders tief: Im März dieses Jahres endete die Talfahrt bei weniger als 2.200 Punkten, in der vergangenen Woche pendelte er schließlich um 3.400 Punkte.

Doch trotzte immerhin die Rechtsform „Aktiengesellschaft“ allem Geschrei um Rezession, Deflation und Inflation, wenngleich es in den vergangenen Monaten kaum Börsengänge gab, ja sie ist sogar auf bestem Wege zu neuer Beliebtheit. So meldete das DAI dieser Tage, dass die Zahl der Aktiengesellschaften in Deutschland Ende April 2003 erstmals 15.000 überschritten habe. Seit dem Tiefststand mit 2.122 AGs im Jahr 1983 hat sich diese Zahl also mehr als versiebenfacht. Dabei ist die AG als Rechtsform nicht gleichbedeutend mit einer Börsennotierung, im Gegenteil: Die Börse als Markt zur Kapitalbeschaffung steht dabei nicht mehr so im Vordergrund wie noch vor wenigen Jahren: „Auch ohne Börsennotierung bietet die Aktiengesellschaft einen hervorragenden institutionellen Rahmen für die Führung eines Unternehmens“, beispielsweise „zur Vorbereitung der Unternehmensnachfolge oder zur Beteiligung der Mitarbeiter“, kommentierte der Leiter des Aktieninstituts, Rüdiger von Rosen, in einer Mitteilung die jüngste Kapitalmarktstatistik der Bundesbank.

Gleichwohl müsse „natürlich Ziel sein“, so von Rosen, Unternehmen „wieder für einen Gang an die Börse zu gewinnen“. Nur die Börsennotierung biete „alle Vorteile einer breiten Aufbringung des Kapitals und einer liquiden Anlageform für breite Bevölkerungskreise“. Grundsätzlich jedenfalls werde „die Stabilisierung der Kurse dazu beitragen, den Anlegern neues Vertrauen in die Aktie zu vermitteln“, blickt der Institutsleiter optimistisch in die Zukunft.

Ein bisschen muss man allerdings die Anleger wohl noch davon überzeugen, dass die Investition in Aktien, zumindest langfristig betrachtet, tatsächlich eine gute Sache sein kann, denn sie scheinen ein wenig vom Glauben abgefallen zu sein. Sowohl die Zahl der Aktienbesitzer als auch die der Fondsanleger ist im vergangenen Jahr erheblich zurückgegangen: summarisch von rund 12,8 Millionen 2001 auf gut 11,5 Millionen 2002. Im Jahr 2000 waren es 11,8 Millionen, 1999 zählte man indes erst 8,3 Millionen Wertpapierinvestoren. Betrachtet man allein die Zahl jener, die nur Aktien besitzen, so sank deren Zahl von 6,2 Millionen in 2000 über knapp 5,7 Millionen im darauf folgenden Jahr auf nunmehr 5 Millionen im Jahr 2002. Relativ betrachtet hatten im vergangenen Jahr jedoch immerhin 18 Prozent der Deutschen über 14 Jahre Unternehmensanteile in Form von Aktie oder Fonds im Portfolio (2001: 20 Prozent), heißt es im aktuellen DAI-Factbook. 1997 zählte man demgegenüber gerade mal 5,6 Millionen Aktien- und Fondsbesitzer (davon 3,9 Millionen Aktionäre), mithin 8,9 Prozent der Deutschen.

Das verloren gegangene Vertrauen der Anleger in Aktien will man nicht allein mit Forderungen nach mehr Transparenz, Wahrhaftigkeit und qualitativ ausssagekräftigen Unternehmenszahlen zurückgewinnen. Das Deutsche Aktieninstitut will laut bestätigten Meldungen bis Ende des Jahres eine Art „Gütesiegel“ für Aktien einführen. Es soll durch eine unabhängige Rating-Agentur vergeben werden. Zu bewerten wäre dabei indes nicht der Preis, sondern die Qualität, sprich vor allem ökonomische Situation, Ertrags- und Finanzkraft sowie die Arbeit des Managements im Rahmen einer veranwortugsvollen Unternehmensführung.

Die Kosten des Siegels sollten die Unternehmen tragen. Für darüber hinausgehende Informationen sei es im derzeitigen Planungsstadium indes noch zu früh, heißt es auf Nachfrage beim DAI. Vielleicht lässt sich auf diese Weise ja tatsächlich das Vertrauen einiger Kleininvestoren zurückgewinnen. Innerhalb der nächsten 15 Jahre immerhin sollte das doch zu schaffen sein. ANDREAS LOHSE