Wir machen das, John. Ja, John

US-Präsidentschaftskandidat John Kerry wählt John Edwards als „Running Mate“

VON BERND PICKERT

Nun ist es also heraus: Früher als alle Präsidentschaftskandidaten der letzten Jahrzehnte, so berichteten die statistikvernarrten US-Medien sofort, hat der demokratische Präsidentschaftskandidat John Kerry seinen „Running Mate“ benannt. John Edwards, der Senator aus North Carolina und während der demokratischen Vorwahlen schärfste Konkurrent Kerrys, soll als Vizepräsidentschaftskandidat das demokratische Duo vervollständigen.

Für 9 Uhr morgens hatte Kerry gestern zu einem Wahlkampfauftritt nach Pittsburgh, Pennsylvania, eingeladen, und er hatte versprochen, man werde dort „viel Spaß haben“ – was allgemein als Ankündigung verstanden wurde, er werde dort seine Vize-Wahl bekannt geben. Das tat Kerry auch – aber schon eine Stunde vorher hatte er per E-Mail tausenden von Unterstützern seine Entscheidung bekannt gegeben. Bis zuletzt waren die Spekulationen ins Kraut geschossen: Edwards war zwar der meist genannte Name, doch auch Tom Vilsack, der Gouverneur von Iowa – immerhin der Vertreter eines Swing States, eines bei den Wahlen umkämpften Bundesstaates – war im Gespräch, genau wie Dick Gephardt, der frühere Chef der demokratischen Fraktion im Repräsentantenhaus, oder Bob Graham, der demokratische Veteran aus dem noch wahlentscheidenderen Florida.

Wie sehr die Auswahl des Running Mate, des „Mitläufers“, tatsächlich die Entscheidung der Wähler beeinflusst, ist umstritten. Tatsächlich bauen die Wahlkämpfe beider Seiten stets auf der Person des Präsidentschaftskandidaten auf. Und während deren Kampagne von der Medienwelt auf Schritt und Tritt begleitet wird, sind die Auftritte der Vize-Kandidaten meist nur kurze Meldungen wert. In der Wahlkampfdynamik allerdings ist die Auswahl des Running Mate stets ein weiterer Höhepunkt, der die sonst durch teure Wahlkampfspots erkaufte Aufmerksamkeit auf die Wahlkampagne der Opposition richtet. Wer der Running Mate wird, ist stets auch ein politisches Signal, das vermutete Schwächen des Präsidentschaftskandidaten auszugleichen sucht: Gouverneure wie Bill Clinton suchen sich Senatoren wie Al Gore, um jemanden mit Washington-Erfahrung vorweisen zu können. George W. Bush wählte aus dem gleichen Grund Dick Cheney, der schon unter seinem Vater Regierungserfahrung gesammelt hatte – und einer der einflussreichsten Vizepräsidenten überhaupt wurde. Al Gore seinerseits wählte für seine Kandidatur im Jahr 2000 den Senator Joe Lieberman – der nicht nur den konservativen Flügel der Demokraten vertrat, sondern auch noch einer der wenigen führenden Köpfe der Demokraten war, der Bill Clinton öffentlich wegen der Lewinsky-Affäre kritisiert hatte. Er sollte Gore helfen, aus dem Schatten Clintons herauszutreten. Dass Lieberman auch noch der erste gläubige Jude war, der für ein solches Amt nominiert wurde, galt den Medien als besonders mutig. Letztendlich wahlentscheidend war jedoch keine dieser Besetzungen.

Die Entscheidung für Edwards soll drei Qualitäten einbringen, die Kerry nicht oder wenigstens nicht überzeugend zugestanden werden: Charisma, Volksnähe und Südstaaten-Verbundenheit. Aber Kerry weiß, dass er es ist, der die Wähler überzeugen muss. Edwards kann helfen, siegen muss Kerry.

Gleichwohl hat Bushs Wahlkampfteam keine Sekunde gezögert, um die ersten Breitseiten gegen Edwards abzuschießen. Zu unerfahren sei Edwards, der gerade seine erste Wahlperiode im Senat absolviert, einer dieser gierigen Anwälte zumal, die nichts anderes zu tun hätten, als der Wirtschaft das Leben zu erschweren, und überdies nur Kerrys zweite Wahl. Der nämlich, so war es wochenlang berichtet worden, hätte eigentlich gern den republikanischen Senator John McCain an seiner Seite gehabt, der sich in der jüngsten Auseinandersetzung über die Foltervorgänge im irakischen Abu-Ghraib-Gefängnis als harter Kritiker der Regierung profiliert hatte. Der aber hat nicht nur abgesagt, sondern sollte gerade gestern erstmals in einem Fernsehspot der Bush-Kampagne zu sehen sein.

Natürlich werden jetzt auch jene Zitate herausgesucht, mit denen sich die Rivalen Kerry und Edwards noch während der Vorwahlen belegt hatten: „Ich weiß nicht, ob John Edwards schon aus den Windeln heraus war, als ich 1969 aus Vietnam zurückkam“, hatte Kerry da gesagt. „Das soll die Person sein, die er [Kerry] jetzt für qualifiziert hält, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden?“, kommentiert höhnisch Steve Schmidt, Sprecher des Bush-Wahlkampfes. Allzu viele Zitate werden sie allerdings nicht finden, denn schon während der Vorwahlen hatte sich etwa Edwards in Bezug auf Kerry deutlich zurückgehalten. Und hatte nicht während der republikanischen Vorwahlen 1980 der Kandidat George H. W. Bush die wirtschaftlichen Vorstellungen seines Rivalen Ronald Reagan „Voodoo Economics“ genannt, um dann doch als dessen Vize ins Weiße Haus einzuziehen?

Dennoch war es wohl kein Zufall, dass Kerry in seiner Rede in Pittsburgh neben vielen Lobesworten für John Edwards ausgerechnet einen Satz gleich zweimal sagte: Edwards sei „bereit für den Job“, insistierte Kerry.

Für Kerry geht es jetzt darum, das „Momentum“, den Schwung für seine Kampagne, bis zum Nominierungsparteitag der Demokraten in Boston am 26. Juli aufrecht zu erhalten und eine positive Grundstimmung für sein Team zu verbreiten. Die Choreografie seines Pittsburgh-Auftrittes war da eindeutig: Mit „Go Johnny Go“ entließ die Regie den Kandidaten zum Bad in der Menge.