Bsirske schimpft am heftigsten, weil Ver.di geprügelt wurde

Nicht nur zwischen SPD und DGB geht der Riss. Die Gewerkschaften sind intern gespalten an der Frage, wie sie mit den Reformen der Schröder-Regierung umgehen sollen

BERLIN taz ■ Frank Bsirske will jetzt nur noch „nach vorne schauen“. Nein, beschwichtigte der Ver.di-Vorsitzende gegenüber dem Stern, er fände es „absurd“, Fantasien zu entwickeln, er wolle den Kanzler stürzen. Ja, er werde künftig auf Forderungen nach Korrekturen an beschlossenen Reformen verzichten. Und ja, er sei bereit, mit Gerhard Schröder „wieder sachlich über die notwendigen Entscheidungen der nächsten Monate zu sprechen“. War da nicht was? Vor zehn Tagen? Hat Bsirske die Politik Schröders nicht in Bausch und Bogen für „gescheitert“ erklärt?

Das Hin und Her zwischen Konfrontation und Dialog, wie es Bsirske nun an den Tag gelegt hat, ist nicht unbedingt dem Treffen des SPD-Gewerkschaftsrats am Montagabend geschuldet. „Das Bündnis zwischen SPD und Gewerkschaften ist kaputt“, sagt der Frankfurter Gewerkschaftsforscher Josef Esser, die Gewerkschaften wüssten nur nicht, wie sie mit dieser „schleichenden Scheidung“ umgehen sollen. Immer noch nicht. Denn der Ton führender Gewerkschaftsfunktionäre in der vergangenen Woche hat sich ja nicht unbedingt verschärft. Es ist ein gutes Jahr her, da war die Agenda 2010 noch nicht mal im Ansatz umgesetzt, als DGB-Vorsitzender Michael Sommer mit dem „Bruch der Gewerkschaften mit der SPD“ gedroht hat. Jetzt spricht er wieder von „Gemeinsamkeiten“ mit der SPD.

Die Gewerkschaften seien sich „intern nicht einig“, heißt es in der Frankfurter IG-Metall-Zentrale, wie sie denn mit der Reformpolitik der rot-grünen Regierung umgehen sollen. Wenn man überhaupt von Strömungen sprechen will, gehen sie quer durch die Gewerkschaften. IG-Metall-Chef Jürgen Peters wirbt stets dafür, dass die Gewerkschaften neue Bündnispartner gewinnen müssten, um ihre Interessen durchzusetzen. Egal ob das nun die Sozialverbände, die Kirchen oder die Globalisierungskritiker sind. Auch allen Parteien müsse man sich „vorbehaltlos nähern“, hieß es gestern bei der IG Metall. Genauso gibt es aber Kritiker eines solchen Kurses, die davor warnen, die Arbeitnehmerorganisation zu einer „neuen APO“ zu machen. Sie plädieren für eine moderate Kritik, um von der SPD überhaupt noch als Gestaltungsmacht wahrgenommen zu werden. Dann nämlich, wenn es demnächst etwa um die geplante Bürgerversicherung gehen wird.

Auch die Basis selbst ist gespalten: 55 Prozent aller Gewerkschaftsmitglieder glauben nach einer Infratest-Umfrage, dass sich ihre Arbeitnehmervertretungen mit massiver Kritik an der Reformpolitik schaden – 42 Prozent glauben das dagegen nicht. In einer vom DGB selbst in Auftrag gegebenen Studie raten 61 Prozent zum Dialog mit der Regierung, um Verbesserungen zu erreichen, 35 Prozent der Befragten verlangen dagegen nach öffentlichem Druck, um Kursänderungen zu erreichen.

Ver.di mit Bsirske an der Spitze hat sich im Konflikt mit der SPD am weitesten aus dem Fenster gelehnt. „Die haben in den vergangenen Jahren auch die schlimmsten Prügel einstecken müssen“, sagt der Frankfurter Soziologe Esser. Die Rationalisierung im öffentlichen Dienst, die Privatisierungen von Unternehmen wie der Deutschen Post und der Telekom sowie jüngst die Arbeitszeitverlängerungen seien nicht spurlos an Ver.di bzw. deren Vorgängerorganisationen vorbeigegangen. Und: „Am Verhandlungstisch waren immer die Regierungen in Bund und Ländern der Gegner, nicht etwa Arbeitgeberverbände wie bei den anderen Gewerkschaften“, sagt Esser. Das mache sich jetzt Luft im Protest gegen die SPD.

In einem seien sich die Gewerkschaften aber einig, sagt ein baden-württembergischer IG-Metall-Funktionär: „Wir sehen keine Alternative zur Regierung, mit der CDU wäre alles viel schlimmer.“ Das aber ändere nichts am Problem der Gewerkschaften. THILO KNOTT