Wieviel Menschen müssen rein?

Gericht, Landtag, Gutachten: Der Streit um den Umbau der Bremer Stadthalle wird auf vielen Ebenen geführt. Jetzt auch als Krieg der Grafiken

Architekten geißeln die „Kastration“ des in Fachkreisen hoch geschätzen Bauwerks

Aus Bremen Henning Bleyl

Im Februar kommenden Jahres, direkt nach dem Mega-Ereignis Sechstage-Rennen, soll die Bremer Stadthalle umgebaut werden. Im Kern geht es dabei um die Erweiterung der Kapazität von derzeit 10.500 auf 14.300 Plätze – ein vermeintlich unspektakulärer Vorgang, der jedoch zu Auseinandersetzungen auf allerlei Ebenen führt.

Hintergrund ist die allgemeine Hallenhochrüstung: Vergangenen November hat die Hamburger „Color Line Arena“ für fast 16.000 BesucherInnen eröffnet, ein Jahr zuvor mauserte sich die Kieler Ostsee-Halle auf 13.500. Und Hannover hat seit der Expo seine „Preussag-Arena“ mit 14.000 Plätzen. Da wären 300 mehr in Bremen doch schön, meinen die „Ereignismacher“ der städtischen Betreibergesellschaft.

Denn: Shakira, Paul McCartney und andere Größen würden gerne an die Weser kommen, wenn man nicht norddeutschlandweit auf Platz drei verwiesen worden wäre. Ohne Umbau keine Zukunft, heißt es, denn andernfalls blieben auch vorhandene Frequenzbringer wie die „Nokia Night of the Proms“ oder Tischtennis-WM zukünftig weg. Die wirtschaftspolitische Sprecherin der CDU, Sibylle Winther, fürchtet dann ein „Absinken auf Oldenburger Niveau“.

Unstrittig ist, dass die 1964 fertig gestellte Halle einer Modernisierung bedarf – schon aus feuerschutzrechtlichen Gründen. Die Erweiterung allerdings stößt in Bremen auf erbitterten Widerstand. Ursprünglich hatten sich nur besorgte Architekten zu Wort gemeldet, die die „Kastration“ des in Fachkreisen hoch geschätzen Bauwerks geißeln. Die charakteristische (und bauhistorisch Maßstab setzende) Hängedachkonstruktion mit den weit auskragenden Haltestreben würde durch die Tribünenerweiterung seiner Funktion beraubt. Erbauer Roland Rainer, führender Nachkriegsarchitekt seiner Heimatstadt Wien, sieht sein Werk zur „Karikatur“ degradiert.

Jetzt werden auch Zweifel an der Wirtschaftlichkeit des offiziell mit 50 Millionen Euro veranschlagten Umbaus laut. Die Armortisierungs-Berechnungen beruhten auf falschen Annahmen und Prognosen, sagt der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Wolfram Elsner. Als rentabel erscheine das Vorhaben nur durch den „methodischen Kunstgriff“, im Fall des Nicht-Umbaus von einer absehbaren Schließung der Halle auszugehen. Das jedoch sei „abwegig“.

Durch den Sparwillen der gerade wieder gewählten großen Koalition ist auch auf politischer Ebene Bewegung in die Auseinandersetzung gekommen. In Teilen der SPD hat sich die Erkenntnis breit gemacht, dass, wer Freibäder und Aidshilfe finanziell und faktisch trocken legt, auch Großinvestitionen prüfen muss. Mühevoll wurde dem konservativen Koalitionspartner das Zugeständnis abgerungen, eine neuerliche Marktanalyse als Umbau-Voraussetzung vornehmen zu lassen – „ergebnisoffen“.

Genau das scheint allerdings fraglich. Denn Auftragsempfänger für das beschlossene Gutachten ist das selbe Institut – Symbios in Karlsruhe – das bereits im April vergangenen Jahres die Hallenerweiterung dringend empfahl. Dabei hatte unter anderem die Errechnung eines „Medienwertes“ von 17,2 Millionen Euro eine ebenso zentrale wie umstrittene Rolle gespielt. In dieser Höhe erbrächten die (in der erweiterten Halle durchzuführenden) Veranstaltungen Werbeeffekte für Bremen. Erwartbar oder nicht: Das Ergebnis des aufgefrischten Gutachtens soll in drei Wochen vorliegen.

Derweil geht die Auseinandersetzung auf vielen Ebenen weiter. Architekt Rainer hat vor dem Landgericht Klage auf Urheberrechtsschutz eingereicht, die allerdings daran zu scheitern droht, dass dem mittlerweile 93-Jährigen ein Gerichtskostenvorschuss von 20.000 Euro abverlangt wird.

Umso aktiver wird der grafische Grabenkrieg geführt. Siebeneinhalbtausend Postkarten, ausgelegt in 150 Kneipen, hat eine Initiative der Erweiterungskritiker drucken lassen. Darauf sind bekannte Bremer Investitionsruinen wie „Space Park“ und Musicaltheater abgebildet, dazu die Stadthalle – gedacht als „Schöne Grüße“ an den Wirtschaftssenator, der das Vorhaben bitte stoppen möge.

Eine Kneipe am beliebten Ostertorsteinweg hat sich gar zum Hauptquartier der Umbaugegner erklärt. Ein sechs Quadratmeter großes Stadthallen-Plakat prangert die Maßnahme als „Steuergrab“ an. Die Headline: „Größe verlangt Opfer, auch von dir!“

Daraus hat die Stadthallen-Crew (laut Hallenchef Claus Kleyboldt „frustriert über das Gerede gegen den Umbau“) jetzt „Große verlangen Größe!“ gemacht – mit durchgeixten Stars, die mehr Publikum wollten. Der Gegen-Gegenschlag ist schon in Arbeit: eine Computersimulation der befürchteten Sichtverhältnisse von den neu geplanten oberen Rängen aus. „Wie Sie sehen, sieht man nichts.“ Damit erinnern die Aktivisten an die Tieferlegung des Weserstadions im vergangenen Jahr, der die umlaufende Aschenbahn den Blicken entzog.

Zu guter Letzt gibt es auch noch einen Streit um Kronzeugen. Nachdem die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ eine kritische Einschätzung über die allerorten entstehenden Überkapazitäten bei Stadien und Hallen veröffentlicht hatte und dazu die Branchengröße Marek Lieberberg als Experten zitierte, bemüht sich dieser um Schadensbegrenzung. Im umbaufreundlichen Teil der Bremer Presse (dem „Weserreport“, das mit Klaus Peter Schulenberg einem weiteren Großveranstalter gehört) legt Lieberberg nun Wert auf die Feststellung, dass er nur Neu-, nicht aber Umbauten für unvernünftig halte.

Ein Vorschlag zur ironischen Güte ist aus dem Mund des grünen Landesvorsitzende Klaus Möhle zu hören. Er regt an, die „zur Farce“ gewordenen Dachträger der Halle einfach als Pappmaché dranzuhängen. Dagegen könnte auch der Denkmalschutz nichts einwenden. Die Halle steht offiziell nicht unter Schutz, was Bremens Landeskonservator Georg Skalecki mit einem aus früheren Zeiten stammenden „Gentleman Agreement“ begründet. Demzufolge habe man wichtige öffentliche Bauten (wie auch das Goethetheater) nicht dem zeitaufwändigen Listeneintragsverfahren unterzogen, weil man deren Schutz nicht für diskussionsbedürftig hielt – tempi passati.