gottschalk sagt
: Die Guten sind heut‘ unmodern

CHRISTIAN GOTTSCHALK: Die Kolumne am Donnerstag

Als ich vor vielen Jahren Hausbesetzer wurde, war ich mal wieder als einziger pünktlich. Ich saß bei einem, den ich nicht kannte, in der Wohnung, wo nach und nach die anderen Hausbesetzer eintrafen, auch meine Kumpels von der Schülerzeitung der Fachschule für Sozialpädagogik. „Und wenn alle da sind, geht‘s los“, dachte ich, ohne eine konkrete Vorstellung davon zu haben, was genau los geht. Ich war ja noch ganz neu in der Branche. Deshalb konnte ich nicht wissen, dass es in Köln eine eherne Hausbesetzerregel gibt: keine Besetzung ohne Matratzen von der Sozialistischen Selbsthilfe Köln (SSK).

Kurz darauf saß ich auf dem Beifahrersitz eines sehr alten Hanomag und versuchte so zu wirken, als würde ich täglich auf solchen Beifahrersitzen ohne Anschnallgurte von sehr alten Hanomags sitzen, die von Zigaretten drehenden Freaks flott durch die Stadt gelenkt werden: meine erste Begegnung mit dem SSK. Wir holten natürlich Matratzen. Später wunderte ich mich, dass wildfremde Menschen mir einfach so die Fenster in meinem neuen Hausbesetzerzimmer strichen: meine zweite Begegnung mit dem SSK. Viele sollten folgen.

Der SSK hat Stil. Der SSK ist Weltmeister im Aufstellen von Wohnzimmern im öffentlichen Raum. Im Foyer vom Wohnungsamt zum Beispiel. Ich glaube, er hat ein Patent auf diese Protestform. Das gleiche gilt für das LKW-tapezieren. Auf dem Ehrenfelder SSK-LKW steht nicht „25 Jahre Kompetenz in Gebrauchtmatratzen“, sondern mal „Bleiberecht für alle“, mal „SSK bleibt“: Auf Tapete. Der LKW des Salierring ist häufig als Lautsprecherwagen auf allen möglichen Demos zu sehen. Dieser Benz ist ein echter SSK-ler: Kämpfen und arbeiten sind ihm eins. Auch die bewährte Methode, sich in größeren Gruppen bei unfairen Behördenvertretern nach der genauen Rechtslage zu erkundigen, hat beim SSK Tradition.

Der SSK ist in einer bösen Welt, in der Geldgier mit Cleverness übersetzt wird, der lebendige Beweis, dass es auch anders geht. Netter, cooler, sozialistisch eben. In den Häusern leben durchaus unterschiedliche Leute zusammen, arbeiten zusammen und machen zusammen Politik. Das ist nicht mehr so richtig modern, aber schön. Keiner weiß, wie die momentanen Verhandlungen mit dem Vermieter der Häuser am Salierring ausgehen.

Ich bin für die Guten.